Wo ist das Fleisch aus besserer Tierhaltung?
Seit April 2019 kennzeichnen viele Lebensmittelhändler Fleischprodukte einheitlich mit einem freiwilligen Siegel zur Haltungsform. Doch Fleisch aus besserer Haltung bleibt Mangelware im Supermarkt. Wem das Tierwohl am Herzen liegt, hat es schwer beim Einkauf.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
- Weniger als zehn Prozent des Fleischangebots in Supermärkten und Discountern stammt von Tieren aus deutlich besseren Haltungsbedingungen.
- Alte und neue Haltungskennzeichnungen nebeneinander sorgen für Verwirrung beim Einkauf. Die »Haltungsform« des Handels ist kein Tierwohllabel.
- Der Hinweis ersetzt keine staatliche Tierwohlkennzeichnung mit Kriterien deutlich über dem gesetzlichen Mindeststandard.
Stand: 04.09.2019
Alle reden vom Tierwohl. Doch Fleisch aus tiergerechter Haltung kaufen, ist wie die Stecknadel im Heuhaufen suchen. In Supermärkten und Discounter sind die Produkte Mangelware. In einem nicht repräsentativen Marktcheck in 14 Bundesländern haben die Verbraucherzentralen im Mai und Juni geprüft, wie es um das Fleischangebot in den einzelnen Haltungsformen bestellt ist. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die Kennzeichnung von 1.631 Produkten wurde begutachtet.
Fleisch aus besserer Tierhaltung ist selten zu finden
Weniger als 10 Prozent des Fleischangebots waren mit den Haltungsformen 3 oder 4 gekennzeichnet, die jeweils für deutlich bessere Haltungsbedingungen stehen. Wir meinen: Das ist viel zu wenig und schränkt die Auswahl beim Einkauf erheblich ein. Bei Haltungsstufe 4 handelt es sich meistens um Bio-Fleisch, obwohl auch konventionelles Fleisch aus deutlich besserer Tierhaltung in dieser Kategorie möglich wäre, doch offensichtlich gibt es kaum Anbieter.
Etwa ein Drittel der Produkte (33,8 Prozent) stammte aus der Haltungsform 2 – meistens Geflügelfleisch. Die Anforderungen hierfür liegen nur wenig über dem Mindeststandard. Mehr als die Hälfte des Fleischangebots (56,3 Prozent) – überwiegend Schwein und Rind – waren mit der Haltungsform Stufe 1 gekennzeichnet. Diese Stufe entspricht dem gesetzlichen Mindeststandard.
Bedeutung der Haltungsform-Label
Haltungsform 1 „Stallhaltung“ (rot) beschreibt den gesetzlichen Mindeststandard für die Haltung von Schweinen und Masthühnern. Bei Rindern und Puten zeigt Stufe 1 die branchenübliche Haltung an, da es für diese Tierarten keine speziellen Haltungsvorschriften gibt. Ein wenig mehr gibt es aber doch: Die Betriebe müssen zusätzlich am QS-System teilnehmen (bei Rindfleisch erst ab 2020).
Haltungsform 2 „StallhaltungPlus“ (blau): Schweine, Masthühner, Puten und Rinder haben etwas mehr Platz im Stall (Beispiel Schwein: + 10 Prozent) und zusätzliches Beschäftigungsmaterial; Kühe dürfen nicht angebunden sein.
Haltungsform 3 „Außenklima“ (orange) bedeutet, dass die Tiere neben noch mehr Platz im Stall (Beispiel Schwein: + 40 Prozent) Kontakt mit dem Außenklima haben, beispielsweise in einem überdachten Außenbereich am Stall oder durch eine nach außen offene Stallseite. Auch Futter ohne Gentechnik ist vorgeschrieben.
Haltungsform 4 „Premium“ (grün) bietet den meisten Platz im Stall (Beispiel Schwein: + 100 Prozent) und einen tatsächlichen Auslauf der Tiere im Freien. Das Futter ist ebenfalls ohne Gentechnik. In diese Stufe ist Bio-Fleisch einzuordnen. Auch konventionell erzeugtes Fleisch findet sich hier, wenn die Tierhaltung die beschriebenen Anforderungen erfüllt. GUT ZU WISSEN Tierschutz steht hoch im Kurs. Immer mehr Verbraucher wollen, dass Tiere gut leben, bevor sie geschlachtet werden. Der Handel reagiert darauf seit Jahren mit immer neuen Marken und Labeln.
Gut zu wissen
Erst im April 2018 hatte Lidl mit seinem »Haltungskompass« eine Haltungskennzeichnung für unverarbeitetes Fleisch der Eigenmarken eingeführt. Kurz darauf zogen Netto Marken-Discount, Kaufland, Penny, Aldi und schließlich Rewe nach.
Jedoch unterschieden sich die Haltungskennzeichnungen der Händler in Namen, Optik und teilweise auch in ihren Kriterien. »Haltungskompass«, »Haltungszeugnis«, »Haltungstransparenz«... ganz schön verwirrend! Im April 2019 führten die Handelsunternehmen und Edeka mit der »Haltungsform« eine einheitliche Haltungskennzeichnung ein – ein vierstufiges, freiwilliges Label für verschiedene Haltungsbedingungen, das bei allen teilnehmenden Märkten gleich aus. Leider ist immer noch ein Drittel der Produkte nach den alten, händlerspezifischen Modellen gekennzeichnet. Das sorgt beim Einkauf weiterhin für statt für einen besseren Durchblick.
Verfügbarkeit und Auswahl verbessern
Wenn Händler tatsächlich aktiv mehr Tierwohl fördern wollen, müssen sie ihr Angebot von Fleisch mit den Haltungsformen 3 und 4 (aus besserer Tierhaltung) deutlich ausbauen – auch für verschiedene Tierarten. Frischfleisch an der Bedientheke und Fleischerzeugnisse wie Wurstwaren sollten ebenfalls mit dem Label gekennzeichnet werden. Das ist bislang nicht der Fall. Außerdem sollten Händler umgehend das einheitliche »Haltungsform«-Label verwenden und auf eigene Siegel verzichten, um. Verbraucherfreundlich wäre es zudem, über die Haltungsformen und die dahinterstehenden Kriterien zu informieren.
UNSER FAZIT
Es bleibt noch viel zu tun in Sachen Tierwohl! Die Haltungsbedingungen in der gesamten Nutztierhaltung müssen besser werden. Eine staatliche Tierwohlkennzeichnung kann dabei helfen. Sie sollte schnellstmöglich eingeführt werden.
Die Verbraucherzentrale Hamburg
Die Verbraucherzentrale Hamburg ist die Interessenvertretung für Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie setzt sich öffentlich – gegenüber der Politik, den Behörden, der Wirtschaft – und mit rechtlichen Mitteln für einen wirksamen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verbraucherschutz ein. Sie bietet Ratsuchenden unabhängige Beratung und Information zu zahlreichen Themen, unter anderem aus den Bereichen Lebensmittel & Ernährung. Mit Informationskampagnen leistet der gemeinnützige Verein seit Jahren wichtige Aufklärungsarbeit. Für die Bewertung von E-Nummern in Lebensmitteln greift CodeCheck schon lange auf das Wissen der Verbraucherschützer zurück. Ab sofort publiziert die Verbraucherzentrale Hamburg auch regelmäßig relevante und spannende Beiträge bei Codecheck.