Zuckerersatzmittel in der Kritik

Stevia: Ist der Süßstoff nun gesund oder nicht?

15. Nov. 2017 von

Nach einer neuen Veröffentlichung im „Canadian Medical Associate Journal“ steht der natürliche Süßstoff Stevia in der Kritik – mal wieder. Wir machen den Faktencheck.

Selten wurde eine Pflanze so gehypt und gleichzeitig kritisiert wie die Steviapflanze. Das Kraut mit dem botanischen Namen Stevia rebaudiana Bertoni ist der indigenen Bevölkerung in Paraguay bereits seit vielen Jahrhunderten bekannt.

Die Blätter enthalten einen Stoff, der eine etwa 200-mal stärkere Süßkraft hat als Zucker. Aus dem Extrakt der Pflanze kann so ein Süßstoff gewonnen werden, der so gut wie keine Kalorien hat und dabei auf ein natürliches Produkt zurück geht. Sein glykämischer Index ist null, sodass Stevia gut von Diabetikern genutzt werden kann.

Stevia – erst gefeiert, dann verschrien, dann gefeiert ...

Die jüngere Geschichte des Süßstoffs liest sich allerdings wie ein kleiner Lebensmittelkrimi. Nach 2000 von Amerikanern entdeckt und gefeiert, dann zurückgehalten, weil in Tierversuchen eine hohe Toxizität gemessen wurde. Als krebserregend in verschiedenen Zeitungen betitelt, bis sich herausstellte, dass die Steviadosis der Versuche viel zu hoch war, und dass darüber hinaus Konzerne hinter der Studie standen, die ein eigenes Interesse an dem Ergebnis hatten.

Nach Anschlussstudien mit einer bis heute als sinnvoll erachteten Obergrenze zugelassen – erst in Frankreich, ab 2011 auch für den gesamten europäischen Markt. Die amerikanische Markteinführung lag zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre zurück. Danach wurde Stevia erneut gefeiert: als natürliche Süße, die im Kampf gegen den allgegenwärtigen Zucker helfen sollte. Immer wieder allerdings kamen Fragen auf, wie gesund der Süßstoff wirklich ist.

Aktuelle Erkenntnisse bringen Stevia wieder in den Fokus

Mehr als 10.000 steviahaltige Lebensmittel sind in den letzten Jahren eingeführt worden – das berichtet die „WELT“ unter Berufung auf Daten des „PureCircle“. Die Produkte kommen mal mehr, mal weniger gut bei den Verbrauchern an: Stevia wird ein etwas bitterer Nachgeschmack nachgesagt, was manche stört. Der Süßstoff eignet sich zudem nicht für jedes Rezept – gerade in Backwerk kann Stevia nur eingeschränkt eingesetzt werden. Unumstritten war bis jetzt jedoch, dass Stevia weder Karies verursacht noch dick macht. Doch nun ist in den USA eine weitere Veröffentlichung zu Stevia und anderen Zuckeraustauschstoffen erschienen – und die bringt Stevia erneut in Verruf.

Aktuell weist die „WELT“ auf eine Veröffentlichung im „Canadian Medical Associate Journal“ hin, die Patientendaten von insgesamt 37 Studien quer verglichen. Ziel dieser Untersuchung war es, Korrelationen zwischen dem gewohnheitsmäßigen Verzehr von Stevia und anderen Süßungsmitteln zu verschiedenen Risikofaktoren wie einem erhöhten BMI und Übergewicht zu finden. Laut „WELT“ zeigten die Forscher, dass die angeblich gesünderen Süßstoffe eher zu Übergewicht und Diabetes führen können. In der Zusammenfassung der Studie liest sich dieser Sachverhalt allerdings anders.

Was wirklich in der Untersuchung steht

Das Forscherteam um Dr. Meghan Azad hat Daten von sieben vollrandomisierten klinischen Studien verglichen und 30 weitere sogenannte Kohortenstudien in ihre Analyse mit einbezogen. In den sieben Studien, die den aktuellen klinischen Standards entsprechen, ließen sich bei etwas über 1.000 Patienten keine Hinweise auf eine Korrelation zwischen dem Verzehr von Süßstoffen und einem erhöhten BMI (Body-Mass-Index) finden. Auch auf andere erhöhte Risikofaktoren ließ nichts schließen. In den Kohortenstudien jedoch fand sich für beides eine leichte Erhöhung. Das Team schließt ihre Interpretation der Ergebnisse mit dem Hinweis, dass Langzeitstudien zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Süßstoffen durchgeführt werden sollten. Tatsächlich ist das einzig feststehende Ergebnis, dass die Daten offenbar auch nicht auf einen Gewichtsverlust durch Süßstoffe schließen lassen – wie ihn verschiedene Gesundheitsorganisationen ja vermutet und erwartet hatten.

Die „Weltgesundheitsorganisation“ (WHO) hat bis heute ihre Einstufung von Stevia als vorläufig unbedenklich (Höchsteinnahmegrenze von 2mg/kg Körpergewicht pro Tag) nicht revidiert, und auch die „European Food Safety Authority“ konnte in Studien keinerlei negative gesundheitliche Effekte von Stevia feststellen. Warum die Pflanze regelmäßig kritisiert wird, bleibt also vorerst ein Rätsel im Lebensmittelkrimi um das Süßkraut.