Verzicht auf Kohlenhydrate

Wie sinnvoll ist Low-Carb-Ernährung?

08. Sept. 2017 von

In unserer Ernährung gelten Kohlenhydrate als die „Bad Guys“: Der Verzicht auf Nudeln, Reis, Zucker und Mehl liegt im Trend ernährungsbewusster Menschen. Doch wie sinnvoll sind die Empfehlungen zu einer kohlenhydratarmen Ernährung? Wir sprechen mit Gewichtscoach und Ernährungsberaterin Anja Rödel.

Low-Carb, No-Carb oder Paleo: Der schlechte Ruf der Kohlenhydrate wird in verschiedenen Diät-Trends aufgegriffen. Doch warum sollten wir Kohlenhydrate überhaupt meiden?

Der Blick in unseren Körper

Kohlenhydrate bestehen aus Zuckermolekülen. Neben Nudeln, Kartoffen und Brot enthalten auch Obst & Gemüse Kohlenhydrate – jedoch verschiedene. Unterschieden werden Kohlenhydrate an ihrer Anzahl an Zuckerbausteinen. Es gibt:

  • Einfachzucker, wie Glucose und Fructose
  • Zweiffachzucker, wie Haushaltszucker oder Malz- und Milchzucker
  • Mehrfachzucker, vor allem in Getreide, Kartoffeln oder Hülsenfrüchten

Unser Körper verwandelt Kohlenhydrate im Darm zu Einfachzucker. Bei Ein- und Zweifachzuckern geht das sehr schnell, bei komplexen Kohlenhydraten muss unser Körper länger arbeiten.

Die Aufnahme von Kohlenhydraten führt dann zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels. Bei den einfachen Zuckern erhöht sich der Blutzuckerspiegel rasant und fällt ebenso schnell wieder ab. Bei Mehrfachzuckern steigt er langsamer. Durch den Anstieg des Blutzuckerspiegels wird darauf Insulin freigesetzt. Dieses Hormon transportiert den Zucker aus dem Blut in die Zellen des Körpers.

Insulin wirkt aber noch anders. Das Hormon hemmt nämlich den Abbau von Fett und fördert gleichzeitig dessen Bildung. „Der Korridor, wie viel Zucker im Blut sein darf, ist sehr eng“, erklärt Anja Rödel von „selbst-bewusst-essen.de“. „Unser Körper kann nur ein bestimmtes Maß an Zucker im Blut gebrauchen. Bei zu viel Zucker im Blut kann man sich das etwa so vorstellen: Das Insulin macht die Tore der Zellen auf, stoppt alle anderen Prozesse und sagt den Zellen: Hier, jede Menge Zucker! Der muss jetzt sofort abgebaut werden.“

Keine Kohlenhydrate am Abend? Oder gleich gar keine Kohlenhydrate?

Aufgrund dieses Zusammenhangs gehen Ernährungsforscher davon aus, dass der Verzehr von Kohlenhydraten am Abend den Fettabbau im Schlaf hemmt. Viele Diäten raten daher, vor allem abends auf Kohlenhydrate zu verzichten. Einige Low-Carb-Fürsprecher gehen sogar noch weiter: Sie sagen, der menschliche Körper benötigt keine Kohlenhydrate, und plädieren für einen völligen Verzicht.

Gewichtscoach und Ernährungsberaterin Anja Rödel sieht das kritisch: „Low-Carb wird oft als einzig selig machende Methode zum Abnehmen verkauft. Und wir glauben gerne an einfache Lösungen. Keine Kohlenhydrate zu essen, das gibt natürlich Struktur, daran kann man sich halten. Aber wer so stark vereinfacht, verliert den Blick für das Ganze. Und mit einem völligen Verzicht auf Kohlenhydrate lassen wir nicht nur potentielle Dickmacher weg, sondern auch viele Vitamine und Mikronährstoffe.“ Anja Rödel empfiehlt daher „Right-Carb“ statt „Low-Carb“ – aber was genau heißt das?

„Right-Carb“ – die richtigen Kohlenhydrate zuführen

Dabei sollte darauf geachtet werden, dass unserem Körper vor allem komplexe Kohlenhydrate zugeführt werden. Denn Obst, Gemüse, Vollkornkreis & Co liefern uns Energie für geistige und körperliche Betätigungen sowie Vitamine, Mikronährstoffe und Ballaststoffe.

Wichtig ist zu unterscheiden: „Den meisten Menschen ist zwar klar, dass Brot und Nudeln Kohlenhydrate sind“, berichtet Anja Rödel. „Aber auch Reis, Schokolade und zuckerhaltige Limonaden beinhalten Kohlenhydrate. Lasse ich die Schokolade am Abend weg oder verzichte ich darauf, süße Limonaden zu trinken, spare ich jede Menge Kalorien und habe sofort einen positiven Effekt. Der hat allerdings wenig mit „Low-Carb“ zu tun“, lächelt die Beraterin, „sondern mehr mit genauem Hinschauen, was ich mir zuführe“.

Unverarbeitetem den Vorzug geben

Doch auch an einer kohlenhydratarmen Ernährung findet Anja Rödel auch positive Aspekte: „Mit dem Weglassen von Kohlenhydraten rücken andere Lebensmittel in den Fokus – Gemüse mit Dip am Abend, zum Beispiel.

Und mit einem größeren Bewusstsein für die Lebensmittel, in denen Kohlenhydrate enthalten sind, greifen die Verbraucher eher zu den empfehlenswerten Kohlenhydraten: Das sind die wenig verarbeiteten wie in Hülsenfrüchten und Kartoffeln.“

Ist der Ruf erst ruiniert …

Zum schlechten Ruf der Kohlenhydrate lacht Gewichtscoach Anja Rödel: „Nicht alle Lebensmittel sind böse! Und bevor ich durch Weglassen von Lebensmitteln plötzlich wichtige Vitamine und Mineralstoffe nicht bekomme, schaue ich lieber genau hin und differenziere. Ein großer Bogen um die leckeren Auslagen beim Bäcker bringt mehr als der generelle Verzicht auf Kartoffeln.“

Zwei weitere Tipps gibt Anja Rödel mit auf den (Diät-)Weg: „Wenn wir über die optimale Ernährung am Abend sprechen, so funktioniert eine kleine Abendmahlzeit für die meisten Menschen am besten. Sie entlastet den Körper und mutet dem Stoffwechsel nicht zu viel zu. Darüber hinaus ist es ganz wichtig zu betonen, dass wir alle unterschiedlich sind. Wir haben unterschiedliche Leben(-sweisen) und einen individuellen Biorhythmus. Was für den einen funktioniert, passt nicht in das Leben des anderen. Eine gute, bewusste Ernährung hat also meist nichts mit dem Befolgen vereinfachter Diätkonzepte zu tun.“