Was Dein Körper wirklich braucht

Omega-3-Fettsäuren – wichtig oder reines Marketing?

22. Sept. 2018 von

Schon in den 1970er Jahren erhielten Forscher bei ihren Studien über die Inuit in Nordalaska erste Hinweise auf einen wichtigen Zusammenhang zwischen Lebensweise und Physis: Die erstaunliche Herzgesundheit der dortigen Bevölkerung musste mit dem hohen Verzehr von Seefisch und seinen Omega-3-Fettsäuren zu tun haben. Seitdem landen Fischöl-Kapseln und Co. in unseren Einkaufskörben. Viele Menschen wollen ihrer Gesundheit damit etwas Gutes tun. Geht der Plan auf?

Fettsäuren sind ein natürlicher Bestandteil von Fetten in Lebensmitteln. Je nach ihrer chemischen Struktur werden sie in verschiedene Kategorien eingeteilt: gesättigte, einfach ungesättigte und mehrfach ungesättigte Fettsäuren.

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren kann der Körper nicht selbst produzieren. Deshalb werden sie auch als essentielle Fettsäuren bezeichnet. Wir müssen diese lebenswichtigen Fettsäuren über die Nahrung aufnehmen. Bei den mehrfach ungesättigten Fettsäuren unterscheidet man zwischen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. Die Bezeichnung weist auf die Position der Doppelbindungen in der Molekülkette hin.

Gesättigte und einfach ungesättigte Fettsäuren kann der Körper selbst aus der Nahrung herstellen. Dass ein Übermaß an gesättigten Fettsäuren zu Fettstoffwechselstörungen und damit zu einer Arteriosklerose führen kann, ist bekannt. Trotzdem nehmen wir meist zu viel davon über fettreiche tierische Lebensmittel zu uns.

Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren

Stefan Lorkowski, Professor für Biochemie und Physiologie der Ernährung an der „Universität Jena“, erklärt gegenüber CodeCheck:

„Ganz besonders wichtige Omega-3-Fettsäuren sind für uns Docosahexaensäure und Eicosapentaensäure, kurz DHA und EPA. Diese langkettigen Formen der Omega-3-Fettsäuren kann der Körper direkt und damit besonders gut nutzen. In Meeresfisch, Fisch- und Krillöl sowie den daraus hergestellten Kapseln sind DHA und EPA enthalten. Anders sieht das bei pflanzlichen Quellen aus. Zwar sind zum Beispiel in Leinöl und Rapsöl große Mengen an Omega-3-Fettsäuren enthalten, allerdings in der Form der Alpha-Linolensäure, kurz ALA. ALA kann unser Körper zwar in DHA und EPA umwandeln, aber die Effizienz dieses Prozesses ist relativ schlecht.“

Studien weisen darauf hin, dass der größte Teil der Bevölkerung grundsätzlich nicht ausreichend mit Omega-3-Fettsäuren versorgt sei, so der Wissenschaftler. Vor allem die regelmäßige Zufuhr der langkettigen Omega-3-Fettsäuren komme zu kurz.

Zu den Omega-6-Fettsäuren zählt vor allem die Linolsäure. Auch sie ist essenziell, doch von ihr nehmen wir oft mehr als genug zu uns. Vor allem Sonnenblumenöl, aber auch tierische Produkte wie Fleisch und Wurst sind reich an Linolsäure.

Wofür benötigt der Körper essenzielle Fettsäuren?

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind unter anderem ein unverzichtbarer Baustein der menschlichen Zellmembranen – im Gehirn und in den Nervenzellen ist die Konzentration an DHA besonders hoch. Auch für die Entwicklung und die Funktion der Netzhaut und des Auges benötigt der Körper DHA. Deshalb ist vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern eine ausreichende Zufuhr besonders wichtig. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren beeinflussen zudem die Blutgerinnung, den Cholesterinwert und die Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Eine weitere Eigenschaft ist ihre Beteiligung an Entzündungsprozessen.

Stefan Lorkowski erklärt dazu: „Aufgrund ihres Einflusses auf Entzündungsprozesse ist ein ausgewogenes Verhältnis von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren besonders wichtig. Sehr vereinfacht kann man sagen, Omega-6-Fettsäuren sind entzündungsfördernd, Omega-3-Fettsäuren wirken entzündungshemmend und sie helfen sogar, bereits vorhandene Entzündungsherde aufzulösen. Bei einem Infekt zum Beispiel benötigt der Körper Omega-6-Fettsäuen für Signalmoleküle, um eine Entzündung, Fieber oder Schmerzen zu erzeugen. Das ist elementar für den Heilungsprozess. Danach werden dringend langkettige Omega-3-Fettsäuren benötigt, um der Entzündungsreaktion gegenzusteuern und sie zu beenden.“

Welches Verhältnis ist wichtig?

Eine zu hohe Aufnahme von Omega-6-Fettsäuren und eine zu geringe der Omega-3-Gegenspieler stehen im Verdacht entzündliche Gelenkerkrankung wie Rheuma und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu begünstigen.

„Wissenschaftliche Beweise hierfür zu finden, ist aber schwierig“, weiß die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Christine Dawczynski von der „Universität Jena“: „Essen ist eben keine Medizin. Trotzdem gibt es Hinweise aus verschiedenen klinischen Studien, dass die konzentrierte Einnahme von langkettigen Omega-3-Fettsäuren rheumatische Beschwerden lindern kann. Da reden wir aber von einer Menge von zwei bis drei Gramm am Tag. Um sich gesund zu halten und bei einer ausgewogenen Ernährung empfehlen wir rund 500 Milligramm täglich.“

Und auch die Herzgesundheit der Inuit lässt sich ableiten. „Einzelne Studien zeigen durchaus, dass bei ausreichender Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren das Risiko an einem plötzlichen Herztod zu sterben, deutlich sinkt“, so der Wissenschaftler Stefan Lorkowski. Die Wissenschaftler gehen allerdings eher von einer präventiven als von einer therapeutischen Wirkung aus.

Damit die Abläufe im Körper im Gleichgewicht bleiben, ist ein günstiges Verhältnis der Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren besonders wichtig. Stefan Lorkowski und Christine Dawczynski empfehlen ein Verhältnis von unter 5:1 von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren. Die „Weltgesundheitsorganisation“ WHO rät sogar zu einem Verhältnis von 4:1.

Aufgrund heutiger Ernährungsgewohnheiten ist das Verhältnis aber häufig stark zu Ungunsten der Omega-3-Fettsäuren verschoben. „Wir gehen eher von 10:1 und höher aus – das ist natürlich alles andere als optimal,“ so der Professor gegenüber CodeCheck.

Wo finden sich Omega-3-Fettsäuren?

Gute Lieferanten von langkettigen Omega-3-Fettsäuren sind vor allem fettreicher Meeresfisch und Mikroalgen sowie Fischöl, Krillöl und bestimmte Mikroalgenöle.

Auch Raps- und insbesondere Leinöl enthalten Omega-3-Fettsäuren. Diese pflanzlichen Omega-3-Fettsäuren sind aber kürzer als die marinen Omega-3-Fettsäuren und müssen vom Körper erst umgewandelt werden. Der Ernährungswissenschaftler Lorkowski erklärt: „Daher ist es sinnvoll, die langkettigen Omega-3-Fettsäuren durch den Verzehr von beispielsweise Meeresfisch direkt zuzuführen.“ Wobei auch der Fisch die langkettigen Omega-3-Fettsäuren nicht selbst herstellen kann, sondern diese über die Nahrung – also über Mikroalgen – aufnimmt, ergänzt die Ernährungsexpertin Dawczynski.

Pflanzliche Alpha-Linolensäure kommt vor allem in Lein-, Drachenkopf- und Perillaöl oder den Samen des Portulaks vor; aber auch Öle aus Hanf, Walnüssen und Raps sind gute Lieferanten, enthalten aber deutlich geringere Mengen Alpha-Linolensäure.

Diese Öle sollten allerdings nicht zum Braten und Frittieren verwendet werden, da die mehrfach ungesättigten Fettsäuren sehr hitzeempfindlich sind. Deshalb sollten diese Öle besser zum Beispiel in Dressings verwendet und kalt verspeist werden.

Durch einen kleinen Handgriff lässt sich das Fettsäuren-Verhältnis schon ganz leicht positiv beeinflussen: Einfach das Omega-6-reiche Sonnenblumenöl gegen Omega-3-reiches Rapsöl oder noch besser Leinöl austauschen.

Allerdings: Jeder Mensch hat einen anderen Stoffwechsel, das macht es schwer eine exakte Zufuhrempfehlung auszusprechen.

Ist Nahrungsergänzung sinnvoll?

Für den Tagesbedarf an EPA und DHA spricht das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ eine Empfehlung von 250 bis 300 Milligramm aus. Der Ernährungswissenschaftler Professor Stefan Lorkowski rät aber durchaus zu einer Zufuhr von rund 300 bis 500 Milligramm pro Tag, das entspricht in etwa zwei Portionen Meeresfisch in der Woche.

Das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ rät von einer Nahrungsergänzung durch Tabletten ab, vor allem wenn regelmäßig Meeresfisch auf dem Speiseplan steht und schreibt: „Ein Mangel an den beiden essenziellen Fettsäuren Linolsäure (Omega-6-Fettsäuren) und α-Linolensäure (Omega-3-Fettsäuren) ist selten, da das Fettgewebe des gesunden Erwachsenen diese speichern kann. Ein Mangel ist allenfalls bei chronischen Fettverdauungsstörungen oder bei fettfreier künstlicher Ernährung möglich.“ Ernährungswissenschaftlicher Lorkowski ist allerdings anderer Meinung. Wer nicht explizit auf eine ausreichende Omega-3-Fettsäuren-Zufuhr achtet oder sich streng vegetarisch oder vegan ernährt, sollte über eine Nahrungsergänzung durch Mikroalgenöl-Kapseln oder Fischöl-Kapseln nachdenken. Nahrungsergänzungsmittel sollten jedoch erst nach Rücksprache mit einem Arzt eingenommen werden. Wichtig ist es dabei, hochwertige Produkte zu kaufen.

Welcher Fisch zwei Mal pro Woche auf dem Teller landet, sollte dabei nicht egal sein. Denn die Überfischung, Beifänge und die Umweltverschmutzung durch industrielle Fischfarmen belasten die Meere und zahlreiche Fischarten. Der Fischratgeber von „Greenpeace“ verschafft einen guten Überblick.

Wer Zweifel an der Ausgewogenheit seines Speiseplans hat oder auf den einfachsten Lieferanten – Meeresfisch – verzichten möchte, sollte seinen Omega-3-Bedarf im Blick haben und auf entsprechende Öle oder hochwertige Nahrungsergänzungsmittel, die auch vegan erhältlich sind, zurückgreifen.