„Insect Respect“: Ein Film über den Herrn der Fliegen

Hersteller von Insektenvernichtungsmittel mit Schweizer Ethikpreis ausgezeichnet. Ein Widerspruch?

04. März 2016 von

Mit dem Label Insect Respect will Dr. Hans-Dietrich Reckhaus, der Inhaber eines Biozid-Unternehmens, das ökologische Bewusstsein stärken. Für jedes durch seine Produkte getötete Insekt soll die Firma einen Ausgleich gewährleisten. Auf die Idee brachten ihn zwei junge Künstler.

Ein Film über den Herrn der Fliegen

Am Ortseingang von Deppendorf bei Bielefeld prangt ein großes Logo, auf dem „Fliegen retten“ zu lesen ist. Schnitt. Ein Ehepaar nimmt eine Fliege in einem Terrarium mit in den Urlaub. Schnitt. Die gleiche Fliege stirbt und wird öffentlich beigesetzt. Schnitt. Der Inhaber der ortsansässigen Biozid-Firma singt auf einem Konzert zur Rettung der Fliegen. Schnitt.

Dem Betrachter des kurzen Videos zum Label Insect Respect könnten Fragen zum Geisteszustand der Protagonisten kommen. Dabei ist die Idee von Hans-Dietrich Reckhaus bei näherer Betrachtung gar nicht so verrückt. Er will eine Hinwendung zu umweltverträglicherer Produktion von Pestiziden und einen Ausgleich für die durch seine Produkte getöteten Insekten.

„Insekten produzieren unsere Nahrung und Textilien mit, sie heilen, säubern und sind wichtiger Bestandteil der Biodiversität“, erklärt der Unternehmer in einer Pressemitteilung. Aber erst zwei junge Künstler brachten ihn dazu, über Insekten auf diese neue Weise nachzudenken. „Wir haben uns viele Gedanken zu Insekten gemacht“, sagt Hans-Dietrich Reckhaus im Video. „Aber noch nie, ob wir sie nicht auch retten können.“

Der Wert der Fliegen – ein Perspektivenwechsel

Die Brüder Frank und Patrik Riklin stießen sein Umdenken an. Hans-Dietrich Reckhaus wollte die beiden in St. Gallen ansässigen Künstler für eine Werbekampagne gewinnen. Sie lehnten sofort ab. Insekten seien nützlich, entgegneten sie. Er solle die Fliegen lieber retten.

Der Unternehmer, der seit vielen Jahren den Familienbetrieb führte, dachte nach. Das Unternehmen, das schon lange in Familienhand ist und 60 Mitarbeiter hat, wollte er nicht aufgeben. Also begann er, die Produktion umweltverträglicher zu gestalten. Hinzu kam die Idee, für die durch seine Produkte getöteten Insekten einen Ausgleich zu gewährleisten.

Mithilfe von Berechnungen analysiert er die Auswirkungen von Bioziden auf die Insektenpopulation – und schafft neue Flächen für Insekten. Das Flachdach des Bielefelder Hauptsitzes wurde bereits 2012 zu einem Biotop für Insekten umgewandelt, die Ausgleichsfläche auf dem Dach des Firmensitzes in Gais folgte 2015. Mithilfe der Brüder Frank und Patrik Riklin begann er, für ökologisches Umdenken zu werben. „Die Balance muss stimmen“, erklärt er der NZZ sein Vorhaben in einem Interview. Der Preis für diese Balance ist groß. Nicht nur, dass sein Engagement bisher vor allem Geld gekostet hat: Viele Kunden schütteln die Köpfe, die meisten Mitbewerber wollen von seinen Ideen nichts wissen.

Lokalpolitiker dagegen honorieren den Einsatz von Hans-Dietrich Reckhaus. So erklärte der Landammann (Vorsitzende der Kantonsregierung) Roland Inauen anlässlich der Eröffnung des Gaiser Insektenbiotops: „Es ist außergewöhnlich, dass sich ein auf die Vernichtung von Insekten spezialisiertes Unternehmen gleichzeitig für ihren Wert einsetzt. Insect Respect ist auf Langfristigkeit angelegt. Es macht ökonomisch und ökologisch Sinn und ist sozial.“ Vor Kurzem erhielt der Unternehmer daher den Schweizer Ethikpreis.

Den Widerspruch aushalten

Vom Insektenvernichter zum Insektenschützer und wieder zurück: Das Projekt Insect Respect mag im Kontext einer Biozide herstellenden Firma merkwürdig anmuten. Ob Dr. Hans-Dietrich Reckhaus sich zwei im Grunde unvereinbare Rollen ausgesucht hat? Das wird er vermutlich häufiger gefragt. Und gerade das macht den Inhaber des Biozid-Unternehmens Reckhaus zu einem Vorreiter. Nicht das Schaffen einer Ausgleichsfläche für die durch seine Produkte getöteten Insekten. Nicht das – löbliche – Engagement in Richtung ökologischer Produkte. Sondern das Aushalten des unauflösbaren Widerspruchs zwischen seinen Idealen. Mit Insect Respect macht er sichtbar, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist. Und dass wir genau das ertragen müssen, wenn wir etwas bewirken wollen.