„Ecogon“

Dieses Brettspiel spielt mit Ökosystemen

28. Mai 2018 von

So ein Ökosystem ist eine komplizierte Sache. Micha Reimer hat es aber geschafft, die verschiedenen Wechselwirkungen von Pflanzen, Tieren und Lebensräumen in ein unterhaltsames wie lehrreiches Brettspiel zu verpacken.

So eine Blaumeise braucht einen Baum, Frucht oder Samen sowie ein sehr kleines oder kleines Tier, so etwas wie eine Baumlaus oder einen Grashüpfer. Bekommt sie auch nur eines davon nicht, kann sie sich nicht etablieren – und verschwindet aus dem Ökosystem.

Das ist natürlich sehr einfach gedacht – doch genau das ist der Sinn hinter dem Brettspiel „Ecogon“. Die Spieler versuchen, ein möglichst großes und vielfältiges Ökosystem aufzubauen. Dabei geht es vor allem um heimische Arten: Reh, Linde, Rotkehlchen, Kiefer, Kellerassel, Wolf, Bussard, insgesamt 24 Pflanzen- und 38 Tierarten versammelt das Spiel.

Entwickelt hat es Micha Reimer, Spieleentwickler aus Sachsen-Anhalt. Die Idee kam ihm vor etwa sieben Jahren auf einer Exkursion während seines Naturschutz-und-Landschaftsplanungs-Studiums in Bernburg. Auf einer Bergspitze in den französischen Alpen kam ihm der Gedanke: „Wieso kennen so viele Menschen alle Pokémon oder sonst was – aber nicht ihre einheimische Natur?“ Auf dem Rückweg von der Exkursion tauschte sich Reimer mit den Kollegen aus, die allesamt das Sammelkarten-Spiel „Magic“ spielten, das Konzept wurde konkreter. Zunächst dachte Reimer noch daran, ein Sammelkartenspiel zum Thema Permakultur zu entwickeln.

„Zuhause angekommen wusste ich: Die Idee ist zu gut, um sie in einer Schublade verschwinden zu lassen“, sagt Reimer. Also fing er an, Prototypen zu basteln, im Bekanntenkreis und auf Spieleabenden an der Hochschule zu testen. „Irgendwann ging es sogar als Uniprojekt durch.“ Letztlich legen die Spieler bei Ecogon sechseckige Kärtchen – Lebensräume, Tiere oder Pflanzen – so aneinander, dass ein möglichst großes Ökosystem entsteht und sich Wicke, Kleiner Fuchs & Co. etablieren können, sie also alles haben, was sie zum dauerhaften Überleben brauchen. Hinzu kommen noch Ereigniskarten, die ein bisschen Zufall ins Spiel bringen, allerdings eher durch negative Aspekte wie Flächenversiegelung oder Krautfäule.

Crowdfunding über Ecocrowd

Nach dreieinhalb Jahren Entwicklungszeit stand Reimer dann vor der Wahl: Das Konzept an einen professionellen Verlag geben oder es auf eigene Faust probieren? Er entschied sich für Letzteres, auch „weil ich wollte, dass das Spiel so umweltfreundlich wie nur möglich produziert wird“, so der 29-Jährige. „Außerdem wollte ich noch sehr viel in diesem Bereich lernen. Das ging nur im Selbstverlag.“

Die Finanzierung des Projekts erfolgte vor allem über ein Crowdfunding auf der Plattform Ecocrowd von der Deutschen Umwelthilfe. Statt der angepeilten 8000 Euro gab es sogar etwas mehr als 9000.

Darauf folgte allerdings erst einmal etwas Ernüchterung, vor allem was die konkrete Produktion anging: „Es ist immer ärgerlich, wenn man sieht, dass die umweltschädlichere Variante billiger und leichter zu produzieren ist“, so Reimer. Letztlich hat er es aber geschafft, Ecogon ist mit Recycling-Pappe, FSC-zertifiziertem Papier und umweltfreundlichen Farben hergestellt, die Spielsteine sind beispielsweise verschiedenfarbige Bohnen.

Verschiedenfarbig, weil Ecogon zwei Spielmodi kennt, einen kooperativen, in dem alle Spieler gemeinsam ein Ökosystem aufbauen, und einen kompetitiven, wo jeder die meisten Punkte bekommen will. Nun kann man die berechtigte Frage stellen, ob es bei einem Spiel, das über Natur und die Wechselwirkungen innerhalb dieser aufklären und bilden will, wirklich Wettbewerb braucht.

Ecogon soll erweitert und digitalisiert werden

Aber Reimer winkt ab, für ihn ist Ecogon in erster Linie immer noch ein Spiel, das Spaß machen soll. „Und für mich sind rein kooperative Spiele auf Dauer langweilig. Wenn man das Spiel einmal raus hat und gemeinsam sowieso nur mit Leichtigkeit gewinnt, wird es spannend, sich mit anderen Spielern zu messen.“ Zudem gibt es einen schönen, pädagogischen Effekt: Wenn jeder nur auf sich selbst und die eigenen Punkte achtet, sieht das Ökosystem längst nicht mehr so schön und groß aus.

Doch obwohl Ecogon ein Naturbildungsspiel ist, sieht Reimer die Zielgruppe primär bei jungen Menschen und jungen Familien, „die sowieso eine Tendenz zu ökologischem Denken haben“. Das Spiel richte sich außerdem an intensive Brettspieler sowie natürlich Bildungseinrichtungen.

Wie es sich für einen Spieleentwickler gehört, ist Reimer mit Ecogon noch lange nicht am Ende. „Dieses Jahr wird es auf jeden Fall noch eine Wasser-Erweiterung geben, die nur für sich gespielt werden kann oder als Erweiterung zum Basisspiel.“ Davon soll es in den kommenden Jahren noch einige mehr geben: „Die Welt ist groß und es gibt noch reichlich andere Ökosysteme zu entdecken.“

Reimer will aber auch zurück zu seiner ursprünglichen Idee eines Sammelkartenspiels – indem er Ecogon digitalisiert und auf Geocaching setzt. Das Potenzial sei da, der Brettspiel-Markt wachse und mit umweltfreundlich produzierten Brettspielen mit Lerneffekt hat sich Reimer zudem eine vielversprechende Nische erschlossen. Um all das umzusetzen, sucht der Spieleentwickler derzeit aber noch Mitstreiter. „Buchhaltung, Konzeption, Kommunikation – alles auf eine Person zu konzentrieren ist schlicht zu viel.“ Kooperation zahlt sich eben auch im echten Leben aus.

Dieser Artikel von Vincent Halang erschein zuerst im „enorm Magazin“.