„Arte“-Dokumentation

„Armes Schwein - Fettes Geschäft. Der Wahre Preis des Billigfleisches“

18. Sept. 2017 von

Das Blut spritzt, das Geld fließt. Der Zuschauer ekelt und empört sich. Er beschließt, Vegetarier zu werden, noch während der Abspann läuft. Auf dieses Rezept setzen viele Dokumentarfilme, die sich mit unserem Fleischkonsum beschäftigen. Auch wenn es sich logisch anhört, klappt es nicht. Nur wenige ernähren sich nach einer Fleisch-Doku tatsächlich anders. Viele überfordert diese Entscheidung. Ist der Blutdruck erstmal zurück auf Normalniveau, stellen sich die alten Gewohnheiten wieder ein.

Die Arte-Produktion „Armes Schwein – Fettes Geschäft. Der wahre Preis des Billigfleisches“ ist anders – und das ist gut so. Regisseur Jens Niehuss geizt mit Schockbildern und apokalyptischen Prognosen. Geduldig und gewissenhaft erklärt er, wie die Schweinefleischindustrie in Deutschland arbeitet. Anstatt sein Publikum mit rasanten Kamerafahrten über tausende Schweine hinweg zu beeindrucken, zeigt er länger Wesentliches und wiederholt Fakten.

Es bleibt etwas hängen

Seine Methode wirkt. Deutsche Betriebe schlachten 60 Millionen Schweine im Jahr. 90 Prozent davon standen vorher in Mastfabriken – also nicht auf Bauernhöfen. Der Preis pro Kilo liegt auf dem Weltmarkt nicht viel höher als 1,50 Euro, die Kosten für die Produktion liegen ungefähr bei 1,50 Euro. Wer dem Wettbewerb standhalten will, muss 30 000 Schweine zur Schlachtreife mästen – pro Jahr. Superkeime sind gegen Antibiotika resistent und finden sich in 20 Prozent der deutschen Schweinefleischprodukte. Dieses Wissen sitzt, auch wenn man nicht mitschreibt. Eine gute Bilanz für 90 Minuten.

Wirtschaft, Politik, Gesundheit und natürlich Umwelt- und Tierschutz – Niehuss informiert sehr vollständig und deckt Zusammenhänge auf. Wie treiben Subventionen für ostdeutsche Betriebe Mäster aus der Bretagne in die Pleite? Warum erzielt den höchsten Gewinn, wer Schweine nach acht Monaten schlachtet? Wie versaute Horst Seehofer unser Trinkwasser, als er Deutschland zum Europameister im Export von Schweinefleisch aufplusterte?

Der Mensch macht's

Die Dokumentation bleibt immer konkret und verständlich, selbst wenn es um eine Nitrat-Richtlinie der EU geht. Menschen bezeugen mit ihren Geschichten, wie vielseitig die industrielle Massentierhaltung auf unsere Gesellschaft wirkt.

Einer von ihnen ist der rumänische Schlachter Constantin. Er heuert bei einem deutschen Subunternehmer an, um seine Familie zu ernähren. Nach sechs Monaten kehrt er zurück: ohne Geld, dafür mit 165 unbezahlten Überstunden. Dank Constantin kostet das deutsche Fleisch sogar weniger als das des Niedriglohnlandes Rumänien.

Die Billigfleisch-Welle aus Deutschland trifft auch Emmanuel Commault. Die französische Regierung zwingt ihn, mehr Lohn zu zahlen und das Grundwasser sauber zu halten. Jetzt bleibt ihm bloß noch, an den Nationalstolz seiner Landsleute zu appellieren. Commault ist kein Kleinbauer, er ist der Generaldirektor des größten Fleischproduzenten Frankreichs.

Unter den Kleinen verlieren ohnehin alle. Die Familien-Metzgerei Schlammerl aus Ottobrunn bei München wehrt sich mit Qualität und Service gegen die Supermärkte - und muss doch fürchten, im Preiskampf verschlungen zu werden.

Bewusst ist besser

Niehuss glückt mit seiner Erzählweise ein Balanceakt. Er prangert das Gebaren der deutschen Megafabriken schonungslos an; gleichzeitig stutzt er das Monster Fleischindustrie auf eine Größe, die es besiegbar erscheinen lässt. Die Botschaft überzeugt: Es steht schlimm, aber nicht schon immer und nicht überall. Besserung ist möglich!

Schweden geht voran: Die Schweinebox teilt sich dort in Toilette mit Spaltboden und Wohnzimmer mit festem Boden. Das schont die Gelenke der Tiere und hält die Box sauber. Heu zum Spielen macht es unnötig, den Ringelschwanz abzuschneiden. Und kranke Schweine ziehen um, damit der Tierarzt nicht dem gesamten Stall prophylaktisch Antibiotika verabreichen muss.

Für informierte Vegetarier hält „Armes Schwein – Fettes Geschäft“ kaum bahnbrechend Neues bereit. Unverbindlich Interessierten könnte der Film dazu verhelfen, ihren Fleischkonsum tatsächlich zu verändern. Er setzt auf verdauliches Wissen und meidet gekonnt die emotionale Zuspitzung auf „Vegetarier oder Mittäter?“.

Das stärkt seine Mahnung an Esser von Fleisch aus dem Supermarkt: Kauft hochwertiges Fleisch, auch wenn es mehr kostet! Und an alle: Akzeptiert keinen Landwirtschaftsminister, der Clemens Tönnies zuhört, aber für die Bauern keine Zeit hat! Dass die Erstausstrahlung in den Wahlmonat fällt, ist deshalb gutes Timing.

Arte sendet die Wiederholung der Dokumentation „Armes Schwein – Fettes Geschäft. Der wahre Preis des Billigfleisches“ am 20. September.

Dieser Artikel erschien zuerst beim „enorm Magazin“.