Interview mit Autor Dr. Leopold zum Thema „besser einkaufen“

„Wir haben mehr Macht als wir glauben“

10. Juli 2020 von

Die Art, wie wir momentan Lebensmittel produzieren, verarbeiten und verkaufen, ist weder für unsere Gesundheit noch für unsere Umwelt dauerhaft tragbar. Wir als Verbraucher haben es in der Hand, wie sich die Lebensmittelbranche entwickeln wird. Diese Einkaufsmacht sollten wir gezielt einsetzen, findet Dr. Helmut Leopold. Wie das genau geht, wo und was man einkaufen sollte und was die dreistesten Tricks der Lebensmittelindustrie sind, erzählt uns der Autor des Buches „Der Food Plan“ im Interview.

Sehr geehrter Herr Dr. Leopold. Was genau hat sie dazu veranlasst ein Buch darüber zu schreiben, wie man besser einkauft?

Ich beschäftige mich schon sehr lange mit Lebensmitteln und der Ernährungsbranche. Hier sind dringend Änderungen in bestimmten Bereichen notwendig – wie wir unsere Lebensmittel produzieren, wie Produzenten, Tiere und die Umwelt behandelt werden, wie Lebensmittel verarbeitet werden, wie Lebensmittel verkauft werden; wie wir als Verbraucher behandelt werden und wie die politischen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Ich möchte mit meinem Buch aufzeigen, dass wir uns als Verbraucher nicht mit der passiven Rolle begnügen müssen, auf Veränderungen zu warten. Sondern wir können aktiv mit unserem Einkauf die weitere Entwicklung unserer Lebensmittelindustrie mitbestimmen. Wie das geht und worauf ich als Verbraucher achten muss, das wollte ich einfach mal gesammelt aufschreiben. Und daraus ist dann „Der Food-Plan“ geworden.

Der Food Plan
Verlag Agentur Altepost

Das Buch „Der Food Plan“ ist online überall verfügbar oder unter der ISBN 978-3982130460 in jeder Buchhandlung bestellbar.

Mal zusammengefasst: Wie kann ich ein als einzelne durch meine Einkäufe für eine bessere Welt sorgen?

Indem ich bewusster einkaufe und mir mehr Gedanken um die Lebensmittel mache, die ich in den Wagen lege. Jedes Produkt im Wagen ist Ergebnis einer Entscheidung von uns. Fangen wir einfach an, die eine oder andere Entscheidung mal anders zu treffen. Wir brauchen uns nicht von heute auf morgen auf Links zu ziehen – kleine Schritte helfen auch schon. Das fängt auch schon damit an sich zu überlegen, wo ich einkaufe.

Und wir sind ja nicht alleine. „Was soll ich alleine schon ausrichten – fragte sich die halbe Menschheit“. Immer mehr Menschen machen sich Gedanken. Wenn diese Gedanken zu einer etwas anderen Produktauswahl führt, wird sich etwas verändern. Denken Sie an die Bio- oder die Regionalitäts-Welle. Verbraucher haben Bio und Regionalität eingefordert und schon gab es mehr Produkte davon im Supermarkt. Wir haben mehr Macht als wir glauben und uns die Ernährungsindustrie einreden will.

Stichwort Tönnies-Skandal: kann man heute überhaupt noch guten Gewissens Fleisch konsumieren?

Diese Frage bekomme ich aktuell sehr häufig gestellt. Ich selbst bin kein Vegetarier oder Veganer, versuche mich aber bewusster zu ernähren und ganz gezielt immer häufiger gegen Fleischprodukte zu entscheiden. Wenn ich Fleisch esse, dann wähle ich immer häufiger ökologisch erzeugte Fleischprodukte oder Wild. Die sogenannte Massentierhaltung führt zu sehr vielen Problemen für unsere Umwelt, die Tiere und die globale Lebensmittelproduktion generell, von unserer eigenen Gesundheit ganz zu schweigen. Es ist daher in unserem eigenen Interesse als Verbraucher die weitere Entwicklung der Nutztierhaltung in eine nachhaltige Richtung zu entwickeln – auch hier wieder mit jedem Einkauf, den wir tätigen.

Sind Produkte aus Discountern generell schlecht?

Nein. Die Produkte sind ja oftmals identisch zu den Produkten aus anderen Supermärkten. Die werden ja nicht schlechter, nur weil sie durch die Tür des Discounters geschoben werden. Aber der Einkauf in einem Discounter unterstützt eine Handelsform, die sehr stark auf die sogenannte Skalierung aufgebaut ist. Sprich, Discounter erzielen ihre Gewinne hauptsächlich dadurch, dass sie das Geld beim Hersteller einsparen, ihm schlichtweg immer weniger für seine Ware geben. Der Hersteller wiederum muss dann hochwertige Zutaten durch billigere Zusatzstoffe ersetzen oder aber den Produzenten wie die Milchbauern schlechter vergüten. Und solche Produkte finden wir dann vermehrt im Discounter. Am Ende muss aber jemand den Preis für die billigen Lebensmittel zahlen. Das sind zunächst die Produzenten, die Tiere, unsere Umwelt. Letztendlich bezahlen wir Verbraucher aber selbst den Preis doppelt und dreifach zurück, den wir vermeintlich im Discounter sparen.

Müssen Konsumenten für gute Lebensmittel generell mehr Geld in die Hand nehmen?

Ja und nein. Nachhaltig erzeugtes Fleisch ist deutlich teurer als Fleisch aus Massentierhaltung. Die Tütensuppe des Food Start-ups, welches auf billige Zusatzstoffe verzichtet ist teurer, als die industrielle Tütensuppe. Aber zum einen können wir Verbraucher ja seltener und dafür besser hergestellten Fleisch kaufen, das hebt sich dann finanziell ziemlich auf. Zum zweiten müssen wir wie berichtet die Folgekosten zum Beispiel der Umweltschäden durch Massenproduktion hintenrum auch wieder bezahlen. Dann gebe ich das Geld doch lieber gleich dem nachhaltig produzierenden Hersteller und schenke mir die negativen Umweltfolgen. Und schließlich soll bitte jeder, der sich über teureres Bio-Obst Gedanken macht, schauen, ob die Schokolade für den gleichen Preis diesen dann eher Wert ist? Und für Kaffee in Aluminiumkapseln geben wir ja auch gerne mal den 10fachen Preis aus verglichen mit dem Filterkaffee im Pfund, vom Zweithandy mal ganz zu schweigen.

Welches sind für Sie die spannensten Food-Startups derzeit - von wem würden Sie gerne mehr Produkte in den Regalen sehen?

Puh, was für eine schwere Frage: Bei myEnso sehe ich täglich so unglaublich viele spannende Food Start-ups, dass es echt unfair wäre, da jetzt einzelne herauszuheben. Daran zeigt sich aber auch wieder: Es gibt Alternativen und wir als Verbraucher sind wirklich nicht an die Massenprodukte gebunden. Man muss diese tollen Perlen halt auch finden und da ist der Handel in der Pflicht.

Ich persönlich freue mich immer über Hersteller, die mit Insekten, Algen oder heimischem „Superfood“ experimentieren. Davon möchte ich in Zukunft gerne mehr Produkte in den Regalen und im Online-Shop sehen.

Zum Schluss: Was ist für Sie persönlich der dreisteste Trick der Lebensmittelindustrie?

In meinem Buch schreibe ich, dass Wasser in Trinkflaschen als der größte Marketingtrick aller Zeiten gilt. Gerade in Deutschland mit seiner sehr guten Trinkwasserqualität ist Wasser in Plastikflaschen schon eine echt grenzwertige Sache. Mich stören aber vielmehr die minderwertigen Süßigkeiten, die mit den Helden unserer Kinder wie Star Wars oder Harry Potter gezielt als sogenannte „Quengelware“ untergejubelt werden. Kinder müssen als unerfahrene Verbraucher viel besser geschützt werden. Oder aber der Verkauf von fettreduziertem Hackfleisch zu einem höheren Preis, weil ist ja fettreduziert. Dabei wurde dem Hack nur Fremdwasser zugefügt und dadurch der Fettgehalt verringert. Ach ich könnte hier jetzt stundenlang Beispiele von dreisten Tricks bringen. Stehen aber auch alle in meinem Buch.

Zur Person: Dr. Helmut Leopold

Dr. Helmut Leopold beschäftigt sich seit seiner Jugend leidenschaftlich mit den Themen Lebensmittelproduktion, -verarbeitung und -verkauf. Derzeit arbeitet er an der Entwicklung des neuartigen und genossenschaftlichen Online-Supermarktes „myEnso“ mit und ist auch Vorstandsmitglied der dazugehörigen Genossenschaft. Zuvor hat er über 15 Jahre die großen Unternehmen der etablierten Lebensmittelindustrie im Bereich Innovationsmanagement beraten und parallel dazu den erfolgreichen Food-Blog "2 grüne Tomaten" geführt, in welchem er die immer wiederkehrenden Muster in der aktuellen Lebensmittelbranche aufdeckte.

Helmut Leopold
Helmut Leopold