Gesundheit

Vitaminpräparate – Ersatz von Obst?

19. Okt. 2014 von

Während immer mehr Menschen auch vorsorglich zu Vitaminpräparaten greifen, warnen Experten verstärkt vor möglichen Nebenwirkungen. Wann also sollte man zu chemischen Vitaminen greifen und wann nicht?

(Un-)Sinn Vitamine – Was bringen Vitaminpräparate wirklich?

Der Glaube an Vitamine aus der Tube ist immens. Immer mehr Menschen greifen – auch vorsorglich – zu Vitaminpräparaten. Schon jede sechste Schweizerin und jeder sechste Schweizer schlucken regelmäßig Vitaminpräparate. In Deutschland hoffen rund 20 Millionen Menschen durch Vitaminpräparate auf eine sanfte und risikolose Krankheitsvorbeugung. Denn es besteht die allgemeine Annahme, dass man mit zusätzlichen Vitaminen sicher Nichts falsch machen kann. Von Herstellern wird Verbrauchern stets suggeriert: Vitaminpräparate seien selbst bei ausgewogener Ernährung empfehlenswert, da sie die Abwehrkräfte stärkten und jung hielten.

Doch bei Vitaminen gilt nicht wie anderswo: Viel hilft viel! Immer mehr Wissenschaftler kommen zu Wort, die von Nebenwirkungen der Vitaminpräparate zu berichten wissen. Bereits Mitte der 1990er Jahr kamen erste Zweifel an der vielversprechenden Wirkung von Vitaminen auf. Damals musste eine Studie mit Rauchern abgebrochen werden, weil jene Probanden, die mit zusätzlichem Beta-Carotin versorgt wurden, sehr häufig an Lungenkrebs erkrankten. Einen weiteren Aufschrei in dem Bereich der Vitaminpräparate gab es im Jahr 2007, als in der Fachzeitschrift „Jama“ eine großangelegte Analyse von 68 Vitaminstudien mit insgesamt 230.000 Teilnehmern veröffentlicht wurde. Das vernichtende Ergebnis war, dass Experten keine überzeugenden Belege für die lebensverlängernde Wirkung der Präparate finden konnten. Aber es kam noch härter. Mediziner belegten sogar die erhöhte Sterblichkeit durch die zusätzliche Einnahme von Beta-Carotin, Vitamin A und Vitamin E. Konkret erhöhe sich die Sterblichkeit bei zusätzlichem Beta-Carotin um 7 Prozent, bei Vitamin A um 16 Prozent und bei Vitamin E um 4 Prozent.

Die beliebtesten Nahrungsergänzungsmittel

Normalerweise nehmen wir Vitamine über die Nahrung auf. Doch oft fühlt man sich etwa zu Zeiten immer neuer Erkältungswellen unzureichend versorgt. Vitamine und Mineralstoffe in Form von Tabletten, Pulvern und Kapseln geben dann ein gutes Gefühl bei der Vorbeugung. Doch Experten warnen zunehmend vor den chemischen Vitaminen: „Im Grunde wissen wir noch immer sehr wenig darüber, wie diese Substanzen im Körper genau wirken“, so äußert sich etwa Vitaminforscher Helmut Sies von der Universität Düsseldorf.

Bisher sah die grundlegende Theorie in Bezug auf die Wirkung von Vitaminen wie folgt aus: „gute“ Vitaminmoleküle schwimmen durch den Körper und bekämpfen „böse“ Sauerstoffradikale, die etwa Zellmembranen oder Erbmoleküle schädigen können. Sie entziehen den Sauerstoffmolekülen ihre Elektronen, wodurch diese oxidieren und ihre Funktion verlieren. Inzwischen sind Experten aber davon überzeugt, dass die einst als durchweg „böse“ abgestempelte Sauerstoffradikale im Körper auch durchaus wertvolle Aufgaben übernehmen. So greifen Sie Viren sowie Bakterien an und können sogar Tumorzellen vernichten. Das erklärt auch die in Tests erforschte höhere Sterberate bei Menschen mit jahrelanger, übermäßiger Vitaminzufuhr. Mediziner halten Sauerstoffradikale mittlerweile für einen wichtigen Teil des menschlichen Immunsystems.

Vitaminpräparate im Test – Alternativen zu Tabletten, Pulver & Co.

In den vergangenen Jahren zeigte sich in Tests immer wieder, dass der Nutzen von Vitaminpräparaten durchaus als zweifelhaft eingestuft werden kann. Eine große Studie mit über 35.000 Männern in den USA, Kanada und Puerto Rico im Jahr 2001 zeigte etwa, dass hohe Dosen des Vitamin E und Selen entgegen aller Erwartungen das Risiko für Prostatakrebs um bis zu 17 Prozent erhöhen. Der Test verlief derart in die negative Richtung, dass die Langzeitstudie im Jahr 2008 abgebrochen wurde.

Im gesamten deutschsprachigen Raum sei eine ausreichende Vitaminversorgung über die ausgewogene Ernährung möglich, so Experten. Der größte Teil der Bevölkerung würde diese derzeit auch erreichen. Deshalb müsse niemand zu Vitaminpräparaten greifen, wenn er nicht nachweislich an einer Unterversorgung leide. Wer sich schlapp fühle, solle zuerst zu natürlichen Vitaminen aus Gemüse und Früchten greifen, da diese weitaus gesünder seien als die künstlich hergestellten Vitaminpräparate. Die einzelnen natürlichen Produkte seien meist ein wertvoller Vitamincocktail, da sich tausende Mikronährstoffe vereinen. Es sei die beste Strategie für die menschliche Gesundheit, wenn man es dem Körper überlasse, wie er seine Zellen ins Gleichgewicht bringe.

So meint Vitaminexperte Helmut Sies: „Die Hauptverteidigungslinien gegen Sauerstoffradikale laufen offenbar über körpereigene Enzyme und weniger über Substanzen, die man von außen als Vitaminpräparate zuführen kann“. Zudem vermuten Experten, dass sich die positive Wirkung von Vitaminen auf die Gesundheit erst entfalten kann, wenn das Zusammenkommen mit speziellen Mikronährstoffen ermöglicht wird. Dieser Umstand findet sich derzeit einzig bei natürlich vorkommenden Vitaminlieferanten – dem Obst und Gemüse. Wer sich also gesund ernährt und keinen erhöhten Bedarf an Vitaminen hat, der kann Vitaminpräparate getrost links liegen lassen. Für Hochleistungssportler oder Schwangere sind Vitaminpräparate im Einzelfall und lediglich auf bestimmte Zeit hilfreich.