Gesetze, Alternativen & Bio-Richtlinien

Kastration ohne Betäubung. Ein Überblick

11. Juli 2016 von

Tierschützer fordern es seit Jahren: Das Verbot der Ferkelkastration ohne Betäubung. Doch oftmals schützen die gängigen Gesetze nicht die Tiere, sondern die Lobbyisten. 2019 soll in Deutschland nun das verbindliche Verbot kommen – in der Schweiz gilt es bereits seit 2010. Doch was bedeutet das für die Ferkel?

Es sieht barbarisch aus und hört sich auch so an: Die Kastration bei männlichen Ferkeln. Bis heute und trotz anhaltender Proteste von Tierschützern wird sie in aller Regel ohne Betäubung vorgenommen. Bis zu ihrem 7. Lebenstag dürfen die Ferkel per Gesetz ohne den Einsatz von Schmerzausschaltern kastriert werden. Dafür schneidet man die Hoden der Tiere heraus. Die Ferkel kreischen und quieken bei der unnötig schmerzhaften Prozedur.

Kastrierte Schweine liefern geruchsärmeres Fleisch

So banal es klingt: Der Hauptgrund für die schmerzhafte Kastration bei Ferkeln ist der Eigengeruch. Denn durch die hormonelle Veränderung bei einem nicht kastrierten Tier kann der sogenannte „Ebergeruch“ auch im Fleisch wahrnehmbar sein. Solches Fleisch gilt als nicht verkaufbar.

Allerdings ist der Anteil der „stinkenden“ Eber nicht besonders hoch – in Europa ist die Ebermast, also die Mast nicht-kastrierter Schweine, durchaus üblich. Die Tiere, die einen stärkeren Eigengeruch entwickeln, werden aussortiert und z.B. zur Produktion von getrockneter oder geräucherter Wurst verwendet.

Eine Non-Profit-Organisation mit zertifiziertem Bio-Label, welche beispielsweise ganz ohne Kastration auskommt: KAGfreiland aus der Schweiz. Tanja Kutzer zu Codecheck: „Auch geruchsbelastetes Fleisch kann zu hervorragenden Produkten ohne Qualitätseinbußen verarbeitet werden, sofern das Know-How bei den Metzgern vorhanden ist.“

Generell ist die Schweiz Deutschland hier einen Schritt voraus: Die Kastration männlicher Ferkel darf bereits seit 2010 nur noch unter Betäubung erfolgen. Doch auch hier besteht noch Handlungsbedarf. KAGfreiland: „Die Gasnarkose kann von jedem Landwirt nach einer obligatorischen Schulung selbst angewandt werden und wird daher flächendeckend eingesetzt. Dennoch ist dies nur eine unzureichende Lösung in Bezug auf das Tierwohl –denn die Tiere leiden noch tagelang an den Wundschmerzen der Kastration und haben ein erhöhtes Infektionsrisiko.“

Der Markt regelt, der Tierschutz steht hinten an …

Soweit sind wir in Deutschland noch nicht. Zumindest soll ab 2019 per Gesetz Schluss sein mit der betäubungslosen Kastration. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Landwirte die Möglichkeit, sich für eines der drei auch nach 2019 legalen Verfahren zu entscheiden und ihre Betriebe umzustellen.

Friederieke Lenz, Pressereferentin des des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erklärt gegenüber Codecheck: Die alternativen Verfahren zur betäubungslosen Kastration in Deutschland sind eben die Kastration unter Betäubung (wie in der Schweiz), die Ebermast und die Immunokastration.

Bei der Ebermast werden die Tiere zwar etwas eher geschlachtet, aber dafür nicht kastriert. Die Immunokastration ist eine etwas kostspieligere Alternative, bei der die Schweine mit dem sogenannten „Improvac“geimpft werden. So behandelte Eber werden fortpflanzungsunfähig und liefern die gewohnte, geruchsarme Fleischqualität, die Verbraucher erwarten.

Die Bio-Alternative?

Bis das Gesetz in Deutschland in Kraft tritt bleibt dem gewissenhaften Verbraucher also nur der Griff zu Bio-Produkten, oder? Rieke Petter von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt räumt auf mit dem Bio-Wunschdenken: „Auch ein Bio-Siegel garantiert bis dahin nicht, dass die Kastration unter Betäubung vorgenommen wird.“

So wird beispielsweise auch für das deutsche Bio-Siegel das Betäuben der Ferkel lediglich empfohlen. Das Problem: Laut Bio-Durchführungsverordnung ist die operative Kastration generell zulässig. Dabei ist jegliches Leid der Tiere auf ein Minimum zu begrenzen, indem Betäubungs- und/oder Schmerzmittel verabreicht werden. Entweder oder ist aber kein Verbot – und schwammige Formulierungen in den Richtlinien unterschiedlicher Bio-Labels öffnen eigentlich klar formulierte Statements der betäubungslosen Ferkelkastration.

Hier einige Auszüge aus Bio-Richtlinien

Naturland-Richtlinien, S. 25

„Kastration ist zur Qualitätssicherung und zur Erhaltung der traditionellen Produktionsverfahren (z.B. Schlachtschweine, Mastochsen, usw.) zugelassen. [...] Um jegliches Leid der Tiere auf ein Minimum zu begrenzen, sind angemessene Betäubungs- und/oder Schmerzmittel zu verabreichen.“

Demeter-Richtlinien, S. 45

„Zähnekneifen, Zähneschleifen, Nasenringe und Nasenkrampen zum Verhindern der Wühltätigkeit, Schnäbel stutzen und Schnäbel touchieren, Kastration ohne Betäubungs- und/oder Schmerzmittel, sowie Kuhtrainer sind nicht zugelassen.“

Bioland-Richtlinien, S.21

„Die chirurgische Kastration von Ferkeln sowie die Kastration von Wiederkauern ist nur unter Betäubung und mit Schmerzbehandlung zulässig. Ausgenommen von der Betäubungspflicht sind Fälle bei der Ferkelkastration, in denen rechtliche und/oder strukturelle Einschränkungen keine tierwohlförderliche Umsetzung ermöglichen und eine Genehmigung von BIOLAND vorliegt.“

Biopark-Richtlinien, S.16

„Die Kastration für die Produktion von z.B. Mastschweinen und Ochsen ist gestattet. Für die Kastration müssen vor dem Eingriff geeignete und zugelassene Schmerzmittel zur Linderung des postoperativen Wundschmerzes eingesetzt werden. Sind Eingriffe aus Sicherheitsgründen, Hygienegründen sowie des Schutzes der Gesundheit von Tier und Mensch unvermeidbar (Schwänze kupieren bei weiblichen Nachzuchtlämmern, Enthornung, Ringe einziehen, Markierungen...), so muss Leiden und Schmerz minimiert und Betäubungsmittel müssen, wo erforderlich, gebraucht werden.“

Eine der sehr seltenen Ausnahmen in der gängigen Praxis bilden Betriebe, die beispielsweise das Neuland-Siegel führen. Diese setzen flächendeckend Betäubung ein, da Neuland bereits seit 2008 die Ferkelkastration unter Betäubung und Schmerzausschaltung vorschreibt – den Eingriff übernehmen Tierärzte.

Kurz: Man kann festhalten, dass in Hinblick auf die Ferkelkastration manche Bio-Label in ihren Auflagen – wohl gegen die Annahme der Verbraucher – nicht über die Tierschutzrichtilinien der EG-Öko-Verordnung hinausgehen. Also EU-Mindeststandards entsprechen.

Schweine-Praktiken über die Kastration hinaus

Betäubungslose Kastration ist nicht das einzige Problem. Welche weiteren Prozeduren müssen Schweine in der Massentierhaltung ertragen?

Rieke Petter von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt spricht gegenüber Codecheck Klartext: „Schweinen wird bis zum 4. Lebenstag der Schwanz kupiert, um zu verhindern, dass sie sich später gegenseitig die Schwänze anbeißen. Außerdem werden ihnen fast immer die Eckzähne abgeschliffen. Damit soll das Gesäuge der Muttersau vor Verletzungen durch die Ferkelzähne geschützt werden. Die Sau wird in einer sogenannten Abferkelbucht fixiert und kann sich deshalb den Ferkeln nicht selbst entziehen.“

Erschreckend: „Auch diese Eingriffe werden meist ohne Betäubung durchgeführt und sind sehr schmerzhaft für die Tiere. Die Probleme, mit denen die Fleischindustrie diese Eingriffe rechtfertigt, entstehen durch die untragbaren Haltungsbedingungen, denen die Schweine ausgesetzt sind. So führen Reizmangel und damit verbundene Langeweile, aber auch Stress durch zu große Gruppen zu Verhaltensstörungen und dem Schwänzebeißen. Das Abschleifen der Eckzähne ist ein völlig unverhältnismäßiger Eingriff, der bei einer Haltung mit ausreichenden Bewegungsmöglichkeiten für die Muttersau überflüssig wäre.“

Den Schweinen, deren Schwänze kupiert und deren Eckzähne gezogen werden, die in oft zu kleinen Kastenständen ein kurzes Dasein bis zu ihrer Schlachtung fristen, bleibt dann ab 2019 zumindest die betäubungslose Kastration erspart. Ein überfälliger Schritt in die richtige Richtung.

Quellen: Welt, PETA, Fleischwirtschaft, agrarheute, Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, KAGfreiland