In den USA längst Praxis

Folsäure-Zusätze in Grundnahrung: Hilfe für Schwangere?

20. Juni 2016 von

Seit über 20 Jahren ist klar: Folsäure kann Neuralrohrdefekte (offener Rücken) und Anenzephalie (nur teilweise entwickeltes Gehirn) verhindern. Würden mit Folsäure angereicherte Grundnahrungsmittel solche Fälle von Fehlbildungen verhindern?

Fehlbildungen des Neuralrohrs und des Gehirns

Neuralrohrdefekte (offener Rücken, auch spina bifida) und Anenzephalie sind schwerwiegende Fehlbildungen, die ganz früh in einer Schwangerschaft (in der dritten bis vierten Schwangerschaftswoche) entstehen können. Kinder, die mit einem Neuralrohrdefekt geboren werden, können trotz sofortiger Operation nach der Geburt lebenslange Beeinträchtigungen wie Lähmung, Inkontinenz und geistige Einschränkungen haben. Bei Kindern mit Anenzephalie sind Teile von Gehirn und Schädel nicht richtig ausgebildet. Diese Kinder sind in der Regel nicht lebensfähig und sterben wenige Stunden nach der Geburt.

Lassen sich solche Fehlbildungen verhindern?

Vor über 20 Jahren konnten Wissenschaftler nachweisen, dass ein genügend hoher Folsäure-Spiegel der Mutter bzw. die Gabe von Folsäure vor und während der ersten Monate der Schwangerschaft diese beiden Fehlbildungen bis zu einem gewissen Grad verhindern können. Folsäure ist die synthetische Form von Vitamin B9. Die natürliche Form des Vitamins B9, Folate, ist in Hülsenfrüchten wie Linsen und Bohnen zu finden sowie in Nüssen und fast allem grünen Gemüse.

In der Schweiz und Deutschland (und vielen weiteren europäischen Ländern) wird deshalb Frauen, die schwanger werden möchten, zusätzlich zu einer ausgewogenen Ernährung ein Folsäure-Präparat empfohlen.

Mit Folsäure angereicherte Grundnahrungsmittel

Die USA und einige weiter Länder gehen einen anderen Weg, wie in einem Artikel auf Elsevier SciTech Connect nachzulesen ist. Da werden seit 20 Jahren Grundnahrungsmittel wie Weizen- und Maismehl, Reis oder Salz mit Folsäure angereichert. So kann eine flächendeckende Versorgung mit Folsäure sichergestellt werden. Insbesondere Frauen, die ungeplant schwanger werden, haben so trotzdem einen genügend hohen Folsäure-Spiegel.

Genügend Folsäure ist übrigens auch für den Rest der Bevölkerung wichtig, denn Folsäure ist an der Zellteilung und -entwicklung beteiligt, an der Bildung von DNA sowie am Eiweiß- und Fettstoffwechsel und kann Krankheiten wie Blutarmut und einige Arten von Schlaganfällen vorbeugen. Ein Zuviel an Folsäure ist nicht möglich, da der Körper Überschüsse einfach ausscheidet.

Einführung auch in weiteren Ländern?

Der Autor des Artikels, Vijaya Kancherla, Epidemiologe am Center for Spina Bifida Prevention der Emory University plädiert deshalb dafür, dass Grundnahrungsmittel weltweit mit Folsäure angereichert werden sollten. Statistiken zufolge würden nämlich bisher nur 15% aller vermeidbaren Neuralrohrdefekte tatsächlich vermieden.

Ja, aber …

Die Kehrseite der Medaille: Die Bevölkerung hätte noch weniger Anreiz, sich gesund und ausgewogen zu ernähren. Swissveg, die Schweizer Informationsstelle für pflanzenbasierte Lebensweise, beispielsweise spricht davon, dass trotz diverser Gesundheitskampagnen der Durchschnittsschweizer noch immer nicht einmal ein Drittel der empfohlenen 5 Portionen Früchte und Gemüse isst. Damit fallen natürlich auch die wichtigsten Folsäurequellen wie Früchte, Nüsse, Gemüse, und Salat bei der Ernährung weg.

Würden nun Lebensmittel konsequent und flächendeckend mit Folsäure angereichert, könnten wohl viele Fälle von Neuralrohrdefekten vermieden werden. Zur Gesundheit der Gesamtbevölkerung würde das aber nicht unbedingt beitragen. Denn es könnte gleichzeitig die Bevölkerung entmündigen bzw. von der Verantwortung für die eigene, gesunde Ernährung noch weiter entbinden. Es könnte nämlich der gleiche Effekt eintreffen wie bei der Einführung der Sicherheitsgurte: Diese haben Verletzungen und Todesfälle im Straßenverkehr nämlich nicht nachhaltig zu senken vermocht, denn wer sich angurtete und sich deshalb in Sicherheit wähnte, fuhr deswegen schneller und unvorsichtiger.