Schadstoffe in Plastik

Studie: Wie wirkt sich ein Leben ohne Plastik auf die Gesundheit aus?

18. Juli 2016 von

Kann eine zweimonatige „Plastik-Fastenkur“ unsere Gesundheit positiv beeinflussen? Forscher der Med-Uni Wien haben die Auswirkungen des Verzichts untersucht. Das Ergebnis scheint ernüchternd — zumindest auf den ersten Blick.

So kam es zum Experiment

Plastik ist überall — so kann man die Botschaft des bekannten Dokumentarfilms „Plastic Planet“ des österreichischen Regisseurs Werner Boote zusammenfassen. Und das kann wohl jeder schon beim Blick in den Einkaufswagen bestätigen: Geschätzte 80 Prozent der im Supermarkt angebotenen Lebensmittel kommen laut „Dem Standard“ nicht mehr ohne Plastikverpackung aus.

Für unsere Gesundheit ist das unter Umständen sehr problematisch – auch das zeigt der Film. Motiviert von dieser Botschaft hat eine fünfköpfige Familie aus der Steiermark in ihrem Haushalt monatelang komplett auf Kunststoffe verzichtet. „Keim Heim für Plastik“ nennen sie ihr Experiment. UmweltmedizinerInnen der MedUni Wien haben sie dabei zwei Monate begleitet und zu Beginn des Experiments, sowie zwei Monate später Urinproben analysiert.

Plastikverzicht auf ganzer Linie

Familie Krautwaschl begann ihren Selbsttest Mitte November 2009. Nach und nach eliminierte sie inspiriert von „Plastic Planet“ alle Kunststoffe im eigenen Haus.

Soweit es möglich war, wurden alle Kunststoffprodukte von Küchen- und Bad-Utensilien bis hin zu Spielzeugen durch entsprechende kunststofffreie Alternativen ersetzt. Zudem wurden nur Lebensmittel gegessen, die vorher nicht oder nur kaum mit Kunststoff in Berührung gekommen waren. Auf ihrem Blog berichtet die Familie über Schwierigkeiten und Lösungen während des Experiments.

Deshalb sind Kunststoffe so gefährlich

Die Kunststoffproblematik sei laut den Forschern der MedUni Wien äußert vielfältig, denn in Kunststoff stecken jede Menge potenziell gesundheitsschädigenden Zusatzstoffe. Dazu gehören Weichmacher, auch Phthalate genannt, sowie Flammschutzmittel, Duft- oder Farbstoffe.

Dieser Cocktail an Schadstoffen könne zur Gesundheitsbelastung werden, vor allem da schon einzelne Stoffe sehr problematisch sind. „So können Phthalate bereits in sehr geringen Konzentrationen essenzielle biologische Prozesse wie Enzymaktivitäten oder das Hormonsystem beeinflussen“, erklärt Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene der MedUni Wien.

Das Ergebnis scheint ernüchternd

Mit der sogenannten Humanbiomonitoring-Studie mit Familie Krautwaschl wollten die Wissenschaftler klären, ob sich durch einen radikalen Verzicht auf Plastik die innere Belastung mit Schadstoffen verändert. Ein weltweit bisher einzigartiges Experiment, schreibt die MedUni Wien.

Dazu wurden zu Beginn und nach einer zweimonatigen Zeit mit privater Kunststoffvermeidung — in Arbeit und Schule war es nicht komplett möglich — 14 gesundheitsrelevante Phthalat-Metabolite und Bisphenol A (BPA) im Morgenurin gemessen.

Das Ergebnis: Eine gewisse innere Belastung blieb bei den Familienmitgliedern auch bei fast komplettem Verzicht auf Plastik im Haushalt bestehen. Die Gesundheitseffekte seien eher gering, heißt es von Seiten der MedUni Wien.

Deshalb fand man immer noch Schadstoffe

Laut Wissenschaftler Hutter sei die Belastung mit Plastikschadstoffen bei der Familie von vornherein gering gewesen. Es handele sich bei der Familie „um eine bereits zuvor sehr auf einen gesunden Lebensstil sensibilisierte Gruppe.“

Umso geringer waren die positiven Effekte der Plastik-Fastenkur auf die innere Belastung. „Es war bei ihnen eine weitere, nachhaltige Absenkung der Konzentration dieser allgegenwärtigen Stoffe praktisch nicht mehr möglich,“ so Hutter.

Auch bei Plastikverzicht im Haushalt, kommen wir in unserer Umwelt noch mit Kunststoffen in Kontakt. Der Wissenschaftler meint: „Das Experiment und die Studie zeigen: Wir haben keine Chance, dieser Belastung zu entkommen.“

Heißt das Plastikverzicht ist sinnlos?

Fakt ist: Wir sind in unserem Leben von so viel Plastik umgeben, dass eine Flucht davor schier unmöglich ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass Plastik bedenkenlos verwendet werden sollte, schließlich summieren sich die Schadstoffe aus den Plastikprodukten.

Die Forscher betonen: Teilweise sei die jeweilige gesundheitsschädliche Belastung durch das Einzelprodukt sehr gering. Das sei auch stets die Argumentation der einzelnen Unternehmen. „Entscheidend ist jedoch die Summe der Belastungen durch die allgegenwärtigen Kunststoffe. Die ist heutzutage hoch,“ mahnt Hutter.

Strengere Chemiekalienpolitik gefordert

Deshalb fordern die Wissenschaftler eine strengere Chemikalienpolitik, die auch dabei helfen soll Kunststoffe im Alltag zu vermeiden. Dies sei nicht nur wegen verschiedener gesundheitsbedenklicher Stoffe wichtig.

Auch Umweltprobleme wie Plastikmüllberge, die keiner mehr handhaben kann, und die weitere Verbreitung in der Umwelt — Stichwort: Mikroplastik — könnten durch weniger Plastik im Alltag abgeschwächt werden.