Forschung

Gehirnveränderungen bei Magersucht stärker als bisher angenommen

17. Dez. 2015 von

Forschungsergebnisse zeigen, dass es bei Magersucht zu Gehirnveränderungen kommen kann und eröffnen möglicherweise neue Behandlungsmöglichkeiten für Anorexia nervosa.

Wenn Menschen mit Magersucht darüber entscheiden, was sie essen (bzw. was sie nicht essen) wollen, aktivieren sie den Teil ihres Gehirns, der mit Gewohnheitsverhalten assoziiert wird. Dieses Ergebnis haben Forscher der Columbia University Medical Center, New York State Psychiatric Institute, Abteilung Zuckerman mind brain behaviour institute am 12. Oktober 2015 in Nature Neuroscience veröffentlicht.

Noch hat die Wissenschaft die Krankheit rund um Anorexia nervosa nicht vollständig erforschen können, und viele Aspekte rund um Magersucht sind noch immer ungeklärt. Die Sterberate ist unter psychischen Erkrankungen am höchsten. Selbst wenn die Erkrankten anfangen, sich besser zu fühlen und ihr Verhalten wirklich ändern wollen, fällt es ihnen immer noch schwer, ein normales Essverhalten zurückzuerlangen.

Typischerweise möchten sie auch während und nach erfolgter Behandlung Nahrungsmittel essen, die wenige Kalorien und wenig Fett haben. Gemäß den Forschern liegt das an Hirnfunktionen, die noch nicht vollständig erforscht sind.

Studie mit funktioneller Magnetresonanztomographie

Um Genaueres über das Essverhalten von Magersüchtigen herauszufinden, haben Forscher die funktionelle Magnetresonanztomographie angewendet. Diese zeigt Hirnfunktionen in Echtzeit an. Dafür wurden 21 Probandinnen mit Anorexie und 21 Frauen mit normalem Essverhalten beobachtet, wie sie Nahrungsmittel aussuchen. Wie es zu erwarten war, wählten Magersüchtige durchgehend Nahrungsmittel, die wenig Fett enthielten.

Auch die Hirnaktivitäten unterschieden sich: Magersüchtige zeigten Aktivitäten im Striatium, der Teil des Gehirns, der mit Zwangshandlungen assoziiert wird.

Alles dreht sich um Fett und Kalorien

Das Striatium spielt eine große Rolle bei der gewohnheitsmässigen Steuerung von Handlungen und ist zudem mit dem Belohnungssystem verknüpft. Dieser Teil war deutlich aktiver bei Frauen, die Magersucht haben. Weitere Unterschiede konnten die Forscher auch zwischen dem dorsalen Striatium und dem dorsolateralen präfrontalen Cortex feststellen.

Dieser ist für zielgerichtetes Handeln zuständig. Die Verschaltung ist bei gesunden Menschen besonders stark, wenn ihnen fettreiche Nahrungsmittel gezeigt werden. Die magersüchtigen Patientinnen hingegen verschalteten nur schwach, was die Forscher dazu veranlasst, die Aktivitäten des Hirn-Vorderlappen zu registrieren.

Dies zeigte den Forschern, dass sich die Magersüchtigen bereits während der Nahrungsmittelwahl damit beschäftigten, wie viele Kalorien sie in den nächsten Mahlzeiten noch zu sich nehmen durften. Dies bedeutet, dass das dorsale Striatium dem Cortex quasi seinen Willen aufzwingt.

Forschungsergebnisse ermöglichen neue Pfade

Für die Behandlung von Essstörungen eröffnen diese Forschungsergebnisse neue Möglichkeiten, insbesondere was das Verständnis der Krankheit und den Krankheitsverlauf angeht. Joanna Steinglass, Professorin der Clinical Psychiatry at Columbia University Medical Center erklärt der Gesundheitsstadt Berlin gegenüber: „Wir entwickeln bereits neue psychiatrische Behandlungsformen aufgrund der Forschungsergebnisse. Sie beziehen eine tiefgreifende Verhaltensänderung des Patienten mit ein und sollen helfen, negative Verhaltensmuster aufzulösen.“

Die Studie könnte auch dabei helfen, Anorexie mit anderen Verhaltungsstörungen in Verbindung zu bringen, beispielsweise mit anderen Suchterkrankungen, Drogenmissbrauch, Spielsucht und anderen Verhaltenszuständen, die eine Überaktivität des Striatium zeigen.

„Unserer Meinung nach sind die Forschungsergebnisse darüber wie das Gehirn seine Entscheidungen fällt, enorm wichtig und wertvoll, seien es die Entscheidungen eines gesunden oder eines kranken Gehirns“, sagt Daphna Shohamy, Autorin und Associate Professor of Psychology am Zuckerman Institut.

Der Titel der Forschungsarbeit lautet im Übrigen "Neural mechanisms supporting maladaptive food choices in anorexia nervosa“ und wurde im Oktober veröffentlicht.