Fraunhofer-Institut: Aktiver Tierschutz mittels Wissenschaft

Experimente mit Leberzellen verhindern Tierversuche

30. Jan. 2016 von

Das Fraunhofer-Institut in Potsdam hat Großes geleistet: Ein Bioreaktor, der so groß wie ein kleiner Reisewecker ist, limitiert Lebervorgänge. So kann auf Versuchstiere verzichtet werden.

Per Gesetz sind Tierversuche für kosmetische Zwecke in der EU eigentlich seit 2013 verboten. Noch gelten jedoch Übergangsfristen und viele Länder erlauben die Grausamkeiten an Labortieren noch immer. Doch die EU setzt sich konsequent für den Tierschutz ein: 2011 hat die EU die Forschungsinitiative Seurat-1 (Seurat steht für Safety Evaluation Ultimately Replacing Animal Testing) ins Leben gerufen. Ziel ist es, alternative Testmethoden für organische Vergiftungen zu finden und gleichzeitig Tierversuche zu stoppen.

Warum man in der Kosmetikbranche organische Vergiftungen testen muss, sei jetzt mal dahingestellt. Unserer Schönheit kommt das bestimmt nicht zu Gute.

Millionen auch von der Europäischen Kosmetikindustrie

Die Seurat-1 Projekte werden insgesamt mit 50 Millionen Euro gefördert, 25 Millionen davon bezahlt der Verband der Europäischen Kosmetikindustrie (Cosmetics Europe). Der Schwerpunkt des Forschungsgebiets liegt auf der Leber, da sie das wichtigste Entgiftungsorgan des Menschen ist und somit auch am meisten von chemischen Belastungen in Mitleidenschaft gezogen wird.

Deshalb hat das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Golm nun in Brüssel einen kleinen Reaktor vorgestellt, den es in Kooperation mit Kosmetikherstellern kommerziell vermarkten möchte. Biophysiker Claus Duschl vom IZI erklärt maz-online.de, dass es sich beim Reaktor, bei dem echte Leberzellen zum Einsatz kommen „um ein echtes Highlight handelt“ und die Forscher, zusammen mit den beteiligten Kollegen aus Jerusalem „ziemlich stolz sind“.

Die Funktionsweise der transparenten Scheibe ist tatsächlich beeindruckend: Das Gerät simuliert die menschliche Leber, welche für die Entgiftung des Körpers zuständig ist.

Aktive Zelllinien und komplexe Nährflüssigkeit

Die Leber filtert Giftstoffe, die in den Blutkreislauf geraten sind, sorgsam heraus und sorgt dafür, dass der Körper langfristig gesund bleibt. Häufige Beschwerden bei Vergiftungen und übermäßiger Belastung sind daher Leberfibrose, Steatose (Fettanhäufung) und der Stau von Gallenflüssigkeit. Auf diese drei Schlüsselmechanismen wurde im Forschungsverlauf besonderen Wert gelegt.

Um mehr über die Vorgänge herauszufinden, setzten die Forscher Zellen aus operativ entfernten Lebertumoren in den Reaktor ein, die im Innern des Geräts am Leben gehalten werden. Dafür mussten die Wissenschaftler einen künstlichen Lebensraum aus Glukose (Traubenzucker), Sauerstoff und einem konstanten Säurewert erschaffen und aufrechterhalten.

Um für die Kosmetikindustrie interessant zu sein, muss der Reaktor es schaffen, diese Nährflüssigkeit langfristig zu überwachen, damit die eventuell auftretenden Vergiftungserscheinungen aufgezeichnet werden können. Das macht der Reaktor, indem integrierte Sensorelemente kontinuierlich die Lebensbedingungen für die Zellen messen und aufzeichnen.

Gifte werden mittels Licht und Farben sichtbar

Dass Leberzellen hochempfindlich, komplex und außerhalb des Körpers schwierig am Leben zu erhalten sind, dürfte klar sein. So war eine weitere Herausforderung für das Forscherteam, dass der Reaktor mindestens 30 Tage lang auf dieselbe Weise aktiv bleiben muss. Das ist wichtig, weil Giftstoffe nur langsam und in kleinen Mengen über die Haut in den Körper eindringen. Deshalb musste man auch diesen Vorgang simulieren.

Zu diesem Zweck wurden die Gifte über dünne Schläuche in den Reaktor geführt – die aktiven Zellen im Innern des Reaktors verlangsamen ihren Stoffwechsel und minimieren ihren Sauerstoff-Verbrauch, wenn Gift in den Substanzen drin war. Mittels leuchtenden Farbpartikeln zeigt der Reaktor die Konzentration des Sauerstoffs in den Zellen an, da die Sauerstoffkonzentration abfällt, wenn Gift vorhanden ist. Bei Lichtzufuhr beginnen diese Farbpartikel zu leuchten, damit die Reaktionen der Zellen auf die zugeführten Stoffe sichtbar wird.

Na dann nichts wie los, raus mit den Tieren und rein mit dem Reaktor?

Leider ist es nicht ganz so einfach, wie Duschl erklärt. Problematisch sei die Evaluierung und Zertifizierung des Produkts – man muss zuerst abklären, ob sich das Gerät für den Test von verschiedenen Stoffen eignet. Dies geschieht mittels Vergleichen aus früheren Studien. Die Experten sind sich jedenfalls sicher, dass sie mit großen Schritten in die richtige Richtung gehen.