Die Geschichte eines Bauernhofs

Wie der niedrige Milchpreis Existenzen zerstört

20. Mai 2016 von

Heute schreibe ich für Sie, liebe Leser_innen von Codecheck, mal keinen neutralen Text. Ich erzähle Ihnen etwas aus meiner Vergangenheit, als Kind vom Land. Und wie die Entwicklung des Milchpreises zum Ende eines Betriebes führen kann. In der Hoffnung, dass sich die Situation für viele andere Landwirte bessern wird.

Wir schreiben das Jahr 2007. Mein Vater kannte sie alle mit Namen. Almira, das war in den letzten Jahren unsere beste Milchkuh. Ich erwähne das nur, weil ich behaupte, dass jeder Landwirt – hier der eines Milchviehbetriebs – seine Tiere kennt und schätzt. Sie sind sein täglich Brot. Wenn es nachts um zwei Uhr ein lautes Muhen aus dem Stall gibt, dann steht man auf und schaut nach, ob eventuell eine Kuh abgekalbt hat. Wenn eine langjährige Milchkuh stirbt, ist man traurig. Sie begleiten einen 365 Tage im Jahr, von morgens bis abends.

Ich möchte auf Grund der aktuellen Diskussion um den Milchpreis die Geschichte meines Vaters erzählen, der seinen Milchviehbetrieb aufgegeben hat. Für mich persönlich ist es eine Schande, dass der Literpreis für eine Flasche Mineralwasser bei 53 Cent liegen kann, während der Literpreis für Milch weit darunter liegt. Milch ist in meiner Vorstellung immer noch ein Lebensmittel, dass vom Aufziehen eines Kalbes bis hin zum Melken einer Kuh, eine für den Verbraucher nicht vorstellbare Arbeit darstellt.

Bevor ich anfange zu erzählen, ist es mir ein Bedürfnis, noch auf einige Punkte hinzuweisen: Ich will hier nur eine subjektive Geschichte erzählen. Die Handlungen der Europäischen Union oder der Bundesregierung zu beurteilen oder einzuschätzen, liegt mir fern. Gleichzeitig ist dies keine Kampfschrift für die Milch als Nahrungsmittel und ein Text gegen Menschen, die gerne vegan leben möchten. Auch möchte ich damit keine Position dazu beziehen, ob es richtig ist, Kälbchen von der Mutterkuh zu entfernen. Es ist einfach nur die Geschichte von unserem Bauernhof.

Peter Krauch 2015 auf dem Hof seines Vaters

Im Jahr 2007 war ich gerade 14 Jahre alt geworden und half im Sommer ab und zu meinem Vater auf dem Hof. 2007 – das sind fast zehn Jahre her. Damals gab es in München eine große Milchdemo und ich durfte und wollte mit. Schon damals interessierte ich mich für Politik und wollte als junger Repräsentant der Landwirtschaft auch unserer Stimme ein Gehör verschaffen.

Morgens ging es mit dem Bus von Südhessen nach München, über 10.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland meldete damals der Bundesverband deutscher Milchviehhalter. Ganz nebenbei für mich als Kind: ein riesen Spektakel und sehr aufregend.

Die Forderung im Jahr 2007 war: 40 Cent pro Liter Milch beim Erzeugerbetrieb, um kostendeckend zu arbeiten. Jetzt schreiben wir 2016, heute sind es immer noch Erzeugerkosten von 40 Cent pro Liter; die Inflation mal außer acht gelassen.

2007 begann für mich wahrnehmbar die große Revolte der Milchbauern. Es war eine Zeit, als viele Landwirte medienwirksam ihre Milch einfach in den Abfluss gegossen haben. Bereits zu diesem Zeitpunkt konnte mein Vater seinen Milchviehbetrieb nicht mehr kostendeckend führen.

Das Landleben ist nicht unbedingt die Idylle. Man verzeihe mir nun die leichte Form des Selbstmitleids. Wenn wir einmal 10 Tage im Urlaub waren, dann war das für uns Kinder etwas ganz Besondereres, aber es war auch nicht jedes Jahr so, dass wir einmal mit den Eltern wegfahren konnten. Wenn dann übrigens immer an die Nordsee – falls etwas auf dem Hof passierte. Gelebtes Landleben ist ein Leben mit dem Betrieb, das ist zumindest das, was mir als Kind im Gedächtnis bis heute hängen bleibt.

Zwei Jahre vor der Milchdemonstration, 2005, erinnere ich mich an ein Gespräch mit meinem Vater im Stall, nachdem wir Gras von der Wiese hereingefahren hatten. Ich fasste damals schon etwas Mut und eröffnete ihm: „Papa, ich will den Hof nicht übernehmen.“ Wieso Mut? Es ist durchaus nicht unüblich in ländlichen Gebieten, dass der Sohn den Betrieb weiterführt, so wie das schon Generationen vorher gemacht haben. Die Antwort meines Vaters war dahingehend sehr liberal und trotzdem auch verbittert, er antwortete: „Ich möchte nicht, dass du ihn weiterführst. Es bringt nichts mehr.“

So fing ich an zu studieren, zog aus, begann mein eigenes Leben und mein Vater gab den Betrieb auf, verkaufte den Hof. Ich muss zugeben, uns alle hat es geschmerzt einen Bauernhof aufzugeben, auf dem man aufgewachsen ist. Ein Bauernhof ist aber nunmal beides: Wohnraum und Arbeitsstätte zugleich.

In der jetzigen Diskussion um einen Milchpreis, welcher sich in Richtung 20 Cent pro Liter beim Erzeuger entwickelt hat, erinnere ich mich immer an eine Aussage meines Vaters, bevor er den Betrieb aufgab: „Du stehst früh auf und arbeitest. Du bist mit Leidenschaft bei deinen Tieren. Du gehst abends wieder ins Bett. Für was? Für nichts!“

Was ist passiert, dass bei uns ein Lebensmittel so wenig wert geworden ist?