Pharmakonzerne

Krankheiten als Konjunkturspritze

07. Apr. 2015 von

„Was bringt den Doktor um sein Brot? a) die Gesundheit b) der Tod. Drum hält der Arzt, auf dass er lebe, uns zwischen beidem in der Schwebe.“ (Eugen Roth)

Immer wieder vermelden verschiedene Medien Forschungserkenntnisse, die chronisch- oder todkranken Menschen das Leben retten oder erheblich erleichtern sollen. Seltsamerweise bleibt es zumeist bei einer einzigen Meldung, und die sensationellen Ergebnisse werden niemals vermarktet. So stand zum Beispiel im Jahr 2003 unter ‚Nachrichten‘ auf DiabSite, einem unabhängigen Diabetes-Portal: „Schon nächstes Jahr soll eine „Zucker-Uhr“ in Deutschland erhältlich sein. Dabei handelt es sich um ein am Handgelenk getragenes Messgerät, das den Blutzuckergehalt ständig und ganz ohne Pieksen misst.

“Wie überaus seltsam, dass die Firma Pendragon, auf deren Produkt Millionen von Diabetikern weltweit hoffte, keine zwei Jahre später Konkurs anmelden musste. Noch verwirrender, dass das vielversprechende Gerät urplötzlich an Tests scheiterte, die es bis dato höchst präzise meisterte. Aufklärung kann hier ein Blick auf die Preise von Blutzuckermessstreifen schaffen, die von namhaften Pharmaunternehmen produziert und von Diabetikern in großer Zahl verbraucht werden: 600 Teststreifen pro Quartal gesteht die gesetzliche Krankenkasse Typ1-Diabetikern zu. Diese kosten bei Bayer 322,80 Euro (Pharmazentralnummer = PZN: 06690997) und bei Roche 419,40 Euro (PZN: 06430546). Macht pro Jahr 1.291,20 Euro bei Bayer und 1.677,60 Euro bei Roche. Mal über sechs Millionen Diabetiker deutschlandweit macht pro Jahr... Nunja, wir können jedenfalls feststellen, dass sich kein Pharmakonzern solche Gewinne durch die Lappen gehen lassen will. Erst recht nicht, wenn er die Mittel dazu hat.

Wenn der Absatz nicht stimmt, machen wir die Leute eben krank.

Aber nicht nur in punkto gesundheitsförderliche und geschäftsschädigende Neuheiten unwirksam machen, auch in punkto konjunkturförderliche Erfindungen publik machen ist die Pharmaindustrie überaus rege tätig. Im Dokumentarfilm „Maladies à vendre“ (Krankheiten zu verkaufen) deckte der Sender ARTE im Mai 2013 gängige Strategien und Vorgehensweisen auf.

So sehen wir beispielsweise in einem amerikanischen Werbespot eine Dame Mitte 30, die vergeblich versucht, einen Einkaufswagen aus der Einkaufswagenschlange vor dem Supermarkt zu ziehen. Indes besagte Dame immer agressiver am Einkaufswagen rüttelt, fragt eine verständnisvolle weibliche Stimme, ob wir das auch kennen. Was genau? Nervosität, Stimmungsschwankungen und weitere Anzeichen dafür, dass die Regelblutung naht.

Na klar, fast jede Frau kennt derlei Vorboten, die auch PMS (Prämenstruelles Syndrom) genannt werden. Nun klärt uns aber die verständnisvolle Stimme darüber auf, dass wir höchstwahrscheinlich krank sind. Wir leiden unter PMDD (Prämenstruelle Disphorie, was so viel bedeutet, wie unstetes Verhalten vor der Regelblutung) und sollen unverzüglich einen Arzt aufsuchen, da es hierfür Behandlungsmethoden gibt.

Diese Erkenntnis geht einher mit einer erlösenden Beobachtung der Dame, die am Einkaufswagen scheitert: Eine weitere Dame löst völlig problemlos einen Einkaufswagen aus der zweiten Wagenschlange. Bis zur Erstausstrahlung des oskarreifen Werbespots haben zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften und ebenso viele durch Pharmavertreter geführte Beratungsgespräche dafür gesorgt, dass die Ärzte Amerikas für den Ansturm der PMDD-geplagten Frauen gewappnet sind. Sie wissen, welche Krankheit diesen Frauen zu schaffen macht, und was sie ihnen zu verschreiben haben. Das ist dreist, aber noch lange nicht so dreist, wie die Hintergrund-Fakten.

Das völlig neue Molekül, das Prämenstruelle Disphorie erfolgreich beseitigen soll, ist nämlich ein altes Molekül. Es wurde bis dato innerhalb eines Medikaments gegen Depressionen verabreicht, für das es nun leider keinen Markt mehr gibt, da das Patent abgelaufen ist. Kein Problem, die Dosierung kann beibehalten werden, Farbe und Preis sind schnell abgeändert (schließlich muss das Arzneimittel sich rechnen, obwohl es nur an fünf Tagen im Monat eingenommen wird), und der weiblichen Bevölkerung hat man erfolgreich eingeimpft, dass sie genau diese Pille braucht.

Bluthochdruch, erhöhter Cholesterinspiegel, Depressionen und Erektionsstörungen

Noch weit einfacher, als den Absatzmarkt für eine bisher unbekannte Diagnose zu begeistern, ist es natürlich, den Absatzmarkt für altbekannte Diagnosen zu sensibilisieren und auszuweiten. Wer mit den gängigen Trenderkrankungen noch nicht vertraut ist, erfährt alsbald durch die Werbung oder beim nächsten Arztbesuch von ihnen. Wie gut, dass es neben einer unglaublichen Palette an blutdruck- und cholesterinwertsenkenden Mitteln Normen für Blutdruck- und Cholesterinwerte gibt, die sich beliebig verändern lassen. So gibt das Bundes-Gesundheitssurvey 1998 an, dass jeder zweite Deutsche an Bluthochdruck leidet, und auf der Website eines ‚Diätexperten‘ lesen wir, dass über 60 Prozent der Deutschen erhöhte Cholesterinwerte haben.

Genauso ergiebig ist das Gebiet der psychischen und psychosomatischen Leiden. Schließlich gehört nicht viel dazu, einen interessierten Rezipienten davon zu überzeugen, dass er anders ist, als die anderen. So nimmt es nicht Wunder, dass sich die Absatzzahlen für Antidepressiva innerhalb der letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt haben, und dass nicht mehr nur die ursprüngliche Zielgruppe, nämlich Männer ab 50, die krankheitsbedingt unter Erektionsstörungen leiden, sondern bereits Jugendliche regelmäßig Viagra einnehmen.

„Krankheiten nach Maß – Erfundene Krankheiten“ auf Youtube:

Quellen:

https://www.youtube.com/watch?v=XrwaguQAU5Q

http://www.blutdruckdaten.de/blutdruck-normalwerte.htmlhttp://www.blutdruckdaten.de/blutdruck-normalwerte.html

https://www.gbe-bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gast&p_aid=0&p_knoten=FID&p_sprache=D&p_suchstring=11737