Umweltfreundliches Unternehmen

Erster Online-Shop für gerettetes Essen

25. Apr. 2017 von

Raphael Fellmer hat Foodsharing zu einer Massenbewegung gemacht. Mit seinem neuen Start-up SirPlus will er das „Essen-Retten“ professionalisieren. Und überschüssige Lebensmittel per Online-Shop bis nach Hause bringen.

Habt ihr schon mal Essen „gerettet“? Ich nicht. Denn „Foodsaven“ ist zwar eigentlich eine coole Sache: Man bewahrt Lebensmittel, die völlig genießbar sind, vor der Tonne, und bekommt reichlich zu essen, ohne dafür bezahlen. Aber es ist zeitaufwändig. Nach Feierabend noch ein bis zwei Stunden Restaurants oder Supermärkte abklappern und Essen, das man selbst nicht braucht, vielleicht noch weiter verteilen: Das vermeidet man als gemütlicher Normalverbraucher lieber, so lange man noch genug Geld in der Tasche hat. Und wer arbeitet und Kinder hat, hat oft gar nicht die Wahl.

Nun schickt sich ein neues Start-up jedoch an, gerettete Lebensmittel bis zum bequemen Normalverbraucher zu bringen: zuerst mit einem Laden in Berlin, und später per Online-Shop bis vor die Haustür, zum Teil sogar noch am Tag der Bestellung.

„SirPlus“ heißt das Unternehmen. Seine Gründer haben vor, das Essen-Retten systematisch anzugehen: Entlang der kompletten Lieferkette wollen sie überschüssige Lebensmittel abholen oder aufkaufen, und anschließend an die Endverbraucher weiterverkaufen. Die Preise sollen bis zu 70 Prozent günstiger sein als im normalen Handel. Wer könnte da noch nein sagen?

Die Fortsetzung des Foodsharing mit unternehmerischen Mitteln

Hinter „SirPlus“ stehen Raphael Fellmer, Martin Schott und Alexander Piutti. Fellmer ist sozusagen der Vater der Lebensmittel-Rettung. Er hat 2013 Foodsharing gegründet, eine Bewegung, deren mehr als 26 000 Mitglieder ehrenamtlich Essen retten und nach eigenen Angaben innerhalb von ein paar Jahren schon mehr als acht Millionen Kilo Lebensmittel vor der Tonne bewahrt haben.

Martin Schott ist ein Freund von Fellmer und ebenfalls aktiver Foodsaver. Alexander Piutti ist Internet-Unternehmer, war unter anderem bei Yahoo, hat ein Start-up für Online-Spiele gegründet, und will nach einer schweren Krankheit nun ein Unternehmen mit sozialem Impact aufbauen. Vom Impact sprechen die drei überhaupt ziemlich viel (wenn nicht gerade von Revolution die Rede ist): Eine große Wirkung zu erzielen und so viele Lebensmittel wie möglich vor der Vernichtung zu bewahren, das sei das oberste Ziel des Unternehmens.

Dass da innerhalb des Teams zwei Welten aufeinanderprallen geben die drei ganz offen zu: Während es Piutti jahrelang wohl vor allem ums Geld verdienen ging, wurde Fellmer bekannt, weil er fünf Jahre ganz ohne Geld lebte. Doch offenbar schaffen sie es, die unterschiedlichen Hintergründe konstruktiv umzusetzen. Fellmer und Schott wissen, wo das Foodsaven mit ehrenamtlichen Helfern an seine Grenzen stößt. Und Piutti weiß, worauf es ankommt, wenn man ein Unternehmen gründen und am Markt behaupten will.

Systematisch Überschüsse abgreifen

Grenzen hat der Foodsharing-Ansatz, weil seine Aktivisten ehrenamtlich arbeiten und ihre Lebensmittel oft nach einem langen Arbeitstag mit bloßen Händen retten. Gerade bei kleineren Mengen wie in einer Bäckerei oder einem Gemüseladen sei das auch weiterhin wichtig, erklären Fellmer und Schott. Doch um wirklich an alles heranzukommen, was im Alltag an Lebensmitteln vernichtet wird, brauche man moderne Logistik-Software, Infrastruktur – und ein Geschäftsmodell.

Mit der Software wollen die SirPlus-Gründer möglichst alle Schritte erfassen, an denen Lebensmittel-Überschüsse entstehen: von der Überproduktion bei Bauern, über das Aussortieren von Gemüse, das nicht dem Schönheitsideal entspricht, Fracht von LKWs, die aufgrund von Verspätungen nicht mehr angenommen wurde, bis zu Produkten im Supermarkt, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben oder schon vorsorglich aussortiert wurden.

Diese Überschüsse sollen dann auf einem „digitalen Marktplatz“ registriert und an Abnehmer und Enkunden weitervermittelt werden. Gemeinnützige Organisationen wie Foodsharing oder die Tafeln sollen die Software kostenlos nutzen dürfen.

Rechtlich möglich, technisch sauber

Rechtlich sei das Weiterverkaufen auch von abgelaufenen Lebensmitteln durchaus möglich, erklärt Piutti. Die Kunden müssten bloß transparent auf den Zustand der Lebensmittel hingewiesen werden und ausdrücklich einwilligen. In einem Onilne-Shop kann man sich das leicht vorstellen. Für den Flagship-Store gäbe es bereits Ideen zur Kennzeichnung der Produkte. Eine endgültige Lösung stehe aber noch nicht fest. Beides, physischer Laden und Online-Shop, soll aber noch in diesem Sommer eröffnet werden.

Und der CO2-Verbrauch? Ist es nicht schädlich und kontraprodukt, überschüssige Lebensmittel noch weiter durch die Gegend zu karren, vielleicht sogar mit zusätzlichen Autos und LKWs? „Keineswegs“, entgegnet Fellmer. „Der CO2-Verbrauch, der dabei entsteht, beträgt nur einen Bruchteil von dem, was entstehen würde, wenn die Lebensmittel neu produziert würden.“

So kann in ein paar Monaten vielleicht auch Otto Normalverbraucher in den Genuss günstiger Lebensmittel kommen, die irgendwann überschüssig waren, aber noch völlig genießbar sind. Und das ist gar nicht schlecht. Denn erst wenn auch der Faule bequem an ihren Errungenschaften teilnehmen kann, hat die Revolution endgültig gesiegt.

Seit Mittwoch befindet sich SirPlus im Crowdfunding auf Startnext. Das Funding-Ziel beträgt 50 000 Euro. Etwa die Hälfte konnte bereits eingesammelt werden.

Dieser Artikel von Jonathan Widder erschien zuerst beim „enorm Magazin“.