Volkskrankheit

Diabetes auf dem Vormarsch

20. Nov. 2014 von

Ca. 6 Mio. Deutsche leiden an Typ-2-Diabetes - ein Drittel mehr als vor 15 Jahren. 750 Menschen erkranken täglich, stündlich sterben drei Menschen – Hauptursache ist die zunehmende Fettleibigkeit.

Volkskrankheiten nehmen zu

Die Zahl der an sogenannten Volkskrankheiten leidenden Menschen wächst. Diese Krankheiten haben sich im Laufe der Jahrhunderte verändert. Während früher etwa Cholera oder Typhus dazu zählten, sind hierzulande heute Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes die häufigsten Volkskrankheiten. Daher ist der Begriff „Volkskrankheit“ keine feste Definition, sondern eher eine Umschreibung für Krankheiten, von denen zu einer bestimmten Zeit ein großer Teil der Bevölkerung betroffen ist.

Die heutigen Lebensbedingungen begünstigen andere Krankheiten als früher. Besonders eine ungesunde Lebensweise mit Bewegungsmangel, Stress und Überernährung fördert aktuell Volkskrankheiten in Deutschland. Da sehr viele Menschen unter diesen Krankheiten leiden, betreffen sie indirekt auch die gesamte Bevölkerung: Hohe Behandlungskosten, Frühberentung und Lohnausgleich müssen von der Solidargemeinschaft mitgetragen werden.

Schicksalsschlag: Diabetes Typ 1

Zu den häufigsten und gefährlichsten Volkskrankheiten zählt seit Jahren die Stoffwechselerkrankung Diabetes, auch Zuckerkrankheit genannt.

Grundsätzlich kann zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 unterschieden werden.

Während Diabetes Typ 2 vor allem durch Übergewicht, Bewegungsmangel und eine kohlenhydratreiche Ernährung begünstigt wird, gleicht eine Erkrankung am Typ 1 eher einem Schicksalsschlag: Der Körper produziert plötzlich in der Bauchspeicheldrüse kaum oder kein Insulin mehr. Dadurch können die Zellen im Körper keine Glukose mehr aufnehmen.

Man vermutet eine Autoimmunerkrankung als Ursache für die Erkrankung am Typ-1-Diabetes. Um die Blutzuckerwerte konstant zu halten, müssen Typ-1-Patienten dem Körper meist bis an ihr Lebensende Insulin zuführen. Dieser Diabetestyp tritt häufig bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf, die sehr schlank oder sogar untergewichtig sind. Häufig sind Durchblutungsstörungen und Arteriosklerose Folgen der Erkrankung. Auch das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt steigt. Bisher ist Typ-1-Diabetes nicht heilbar. Eine gesunde Lebensweise kann den Organismus allerdings so stärken, dass das Risiko für Folgeschäden sinkt.

Diabetes Typ 2 ist heilbar

Diabetes betrifft insgesamt knapp 10 Prozent der deutschen Bevölkerung. Davon leiden allerdings nur 5 Prozent am Typ 1 – die restlichen 95 Prozent sind am Diabetes Typ 2 erkrankt. Hier kann der Körper in der Regel noch Insulin produzieren, dieses aber nicht richtig nutzen. Diesen Zustand nennt man Insulinresistenz. Mit der Zeit produziert der Körper dann immer weniger Insulin, was zu einem relativen Insulinmangel führt.

Typ-2-Diabetes, auch Altersdiabetes genannt, ist meist Folge einer schlechten Lebensweise. Zu den größten Risikofaktoren zählen Übergewicht, Stress und Bewegungsmangel. Auch Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung und Feinstaubbelastung können nach neueren Daten Typ-2-Diabetes begünstigen.

Im Umkehrschluss kann Typ-2-Diabetes mit einer radikalen Umstellung des Ess- und Bewegungsverhaltens geheilt werden, sofern rechtzeitig gehandelt wird. Ignoriert man die Erkrankung hingegen, kann auch Typ 2 langfristig zu schweren Gesundheitsschäden führen.

Rund sechs Millionen Menschen in Deutschland leiden an Typ-2-Diabetes. Das sind ein Drittel mehr als noch vor 15 Jahren. Und die Prognosen sehen schlecht aus: In den nächsten Jahren werden die Zahlen noch weiter steigen. 600 Millionen Erkrankte weltweit könnten es 2035 Schätzungen zufolge sein.

Fettleibigkeit als Hauptursache

Die Ursache für den rapiden Anstieg von Typ 2 liegt für Prof. Dr. Matthias Tschöp, Diabetes-Forscher am Helmholtz Zentrum München, klar auf der Hand: die wachsende Zahl übergewichtiger Menschen.

„Das Problem bekommen wir einfach nicht in den Griff“, so Tschöp. „Wir haben bis heute keine Medikamente gegen Fettleibigkeit“, erklärt der Mediziner. Allein chirurgische Eingriffe wie ein Magenbypass seien bisher möglich.

Deshalb will Tschöp Medikamente entwickeln, die Fettleibigkeit und Diabetes gleichzeitig bekämpfen: „Wir brauchen Medikamente, die viel wirksamer sind als heute.“

Ein wichtiger Ansatz dabei ist die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Fettgewebe im Körper. „Es gibt Fettzellen, die Fett nicht speichern, sondern verbrennen“, erklärt Tschöp. Deshalb wird untersucht wie sich das „gute“ braune Fettgewebe vom „schlechten“ weißen Gewebe unterscheiden lässt.

„Wir müssen es schaffen, weiße in braune Fettzellen umzuwandeln – also Zellen, die Kalorien speichern umwandeln in Zellen, die Kalorien verbrennen,“ so Tschöp. Wie das genau funktioniert, wissen die Wissenschaftler aber bisher noch nicht.

Aktionsplan gegen Diabetes

Thomas Danne, Chefarzt am Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult in Hannover und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes-Hilfe sieht in Diabetes auch ein gesellschaftliches Problem. Dieses lasse sich durch neue Medikamente und Therapien allein nicht in den Griff bekommen.

„Unsere Gesellschaft macht gesundes Leben nicht gerade leicht“, ist sich Danne sicher. Dies soll künftig ein nationaler Diabetes-Aktionsplan ändern, der bereits in 18 EU-Staaten realisiert wird. Ein solcher Plan soll die Interessen der verschiedenen Lobbygruppen – wie Politik, Ärzte, oder Nahrungsmittelindustrie – binden. Zudem soll die Früherkennung besser werden. Denn viele Menschen bemerken Diabetes erst, wenn sie bereits an Folgeerkrankungen leiden. Denn: „Hoher Zucker tut ja nicht weh“, weiß Danne.

Langfristig kann also nur ein Umdenken in der gesamten Gesellschaft die Senkung der Diabetes-Erkrankungen ermöglichen. Das beste Rezept ist immer noch: Mehr Bewegung, weniger Stress und eine gesunde Ernährung.