Billige Rohstoffe für Europa

Brasilien: Der bittere Beigeschmack unseres täglichen Zuckers

21. Aug. 2016 von

Das größte Land Südamerikas – Brasilien – ist der wichtigste Zuckerproduzent und Exporteur weltweit. Auf riesigen Plantagen wird günstiger Zucker oder Ethanol für „Bio-Sprit“ hergestellt – gerade auch für Europas Märkte. Doch wie hoch ist der Preis für Arbeiter, Anwohner und Umwelt?

Für viele Menschen im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco sind die Jobs in der Zuckerindustrie die einzige Chance auf ein Einkommen. Trotz schlechter Bezahlung und harter Arbeit wagen es nur die wenigsten, gegen die mächtige Zucker-Lobby aufzubegehren. Private Sicherheitsdienste, skrupellose Militärpolizisten und korrupte Lokalpolitiker sorgen für ein einschüchterndes und beklemmendes Klima. Die Großgrundbesitzer dahinter können dank deren Hilfe tun und lassen, was sie wollen.

Mehr Landkonflikte und Umweltprobleme

Nur wenige Reporterteams wagen sich in diese Gegend. Fragen sind unerwünscht. Trotzdem sind Journalisten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) in Brasiliens wichtigste Anbauregion gereist, um sich ein eigenes Bild zu machen. Sie trafen arme Bauern, die von ihren Höfen vertrieben wurden, um mehr Ackerland zu schaffen. Anwohner, welche trotz aussichtsloser Lage, immer noch für ihr Zuhause kämpfen. Arbeiter, die nach jahrelanger harter Arbeit auf den Feldern krank wurden. Und eine Natur, die es so längst nicht mehr gibt. Die Reportage beeindruckt und bedrückt zugleich. Der Preis für Europas billigen Zucker und Treibstoff der Zukunft ist teuer.

Überdies steigt in den letzten Jahren die Zahl der Landkonflikte. Immer mehr Menschen werden gewaltsam von ihren Höfen und Ländereien vertrieben. Gerade in Regionen wo der Zuckerrohranbau wächst, gibt es vermehrt Streitigkeiten.

Die Bio-Sprit-Lüge

Neben dem süßen Genussmittel wird dort auch Ethanol produziert. Der sogenannte „Bio-Sprit“ gilt in der westlichen Welt als neues Wundermittel gegen den Klimawandel. Langsam soll er Benzin und Diesel ablösen. Brasilien soll bei der Produktion eine führende Rolle einnehmen. Vor zehn Jahren ließ die Regierung eine Berechnung durchführen, wie zehn Prozent der weltweiten Nachfrage nach Agrarsprit bis ins Jahr 2025 durch Brasilien gedeckt werden könne. Das Ergebnis: möglich sei es, aber dafür müssten zusätzlich 35 Millionen Hektar Land mit Zuckerrohr bepflanzt werden. Dass „Bio-Sprit“ laut neuester Untersuchungen überhaupt nicht umweltfreundlicher als Diesel oder Benzin ist, ist den Politikern in Brasilia oder Brüssel keine Erwähnung wert.

Zucker-Mafia gewinnt immer mehr Macht

Für Umweltschützer, Bewohner, Tiere und Umwelt ist dies ein Horrorszenario. Die Gier nach billigem Zucker scheint so groß zu sein, dass auch wichtige Politiker jegliche Bedenken vermissen lassen. Wirtschaftsminister Aldo Rebelo bestreitet gar die Existenz des Klimawandels. Die Zuckerbarone, die in den betroffenen Regionen mafiaähnliche Strukturen aufbauen, reiben sich die Hände. In den abgelegenen Regionen des Riesenstaates reißen sie immer mehr Macht und vor allem Land an sich. Durch Unterdrückung und Vertreibung in gigantischem Stil gewinnen sie immer größere Flächen, um darauf Soja, tropische Früchte, oder eben Zuckerrohr anzubauen.

Auch von Sklaverei ist die Rede. 2007 beispielsweise befreite die Anti-Sklaverei-Einheit der brasilianischen Regierung 1100 Arbeit auf einer Zuckerrohrplantage am Amazonas. Wo früher erst Indianer und dann Menschen aus Afrika die Felder bestellen mussten, sind es heute arme Wanderarbeiter aus den ländlichen Regionen, die zur Arbeit unter miserablen Bedingungen gezwungen werden.

Das Leid von vielen

Und so wird das Versprechen von sozialer Nachhaltigkeit, welche wir in Europa oft von Politikern und Industriellen hören, zu einer gewaltigen Lüge. Der Anbau von Zuckerrohr in Brasilien, welcher von Europa im großen Stil subvenzioniert und gefördert wird, zerstört nicht nur die einzigartige Natur des Amazonas-Staates, sondern auch viele Existenzen der dort lebenden Bevölkerung. Und so ist es auch in Brasilien nicht anders, als an vielen Orten dieser Welt: Der Profit einiger wenigen beruht auf der Armut und Besitzlosigkeit vieler.